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Einsatzarmee Bundeswehr: an die Wand gefahren?

Letzter Bericht des Wehrbeauftragten Robbe beklagt „gravierendes Defizit in Ausbildung und Ausrüstung“

Von Stefan Jalowy


16.03.2010, Berlin – Die Kritik wurde sachlich, objektiviert und mit norddeutscher Kühle und dennoch mit deutlich spürbarer Empathie vorgetragen. Reinhold Robbe (SPD), der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, präsentierte an diesem Dienstag in Berlin den Jahresbericht 2009 über den Zustand der Bundeswehr. Schwerpunkte der von Robbe aufgeführten und von ihm im Einzelnen beschriebenen Mängel waren neben gravierenden Defiziten in Ausbildung und Ausrüstung der Bundeswehr ein immer eklatanterer Mangel an Ärzten, zuviel Bürokratie bei zuwenig Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten der deutschen Interventionsarmee. Robbe, bis zu seiner Wahl zum Wehrbeauftragten elf Jahre lang Bundestagsabgeordneter der SPD, wird nach Ende seiner fünfjährigen Amtszeit im kommenden Mai nicht mehr für das Amt kandidieren. Grund: die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag will den FDP-Politiker Hellmut Königshaus für das Amt des „Anwalts der Soldaten“ wählen.

In seinen Vorbemerkungen zum Jahresbericht 2009 setzte Reinhold Robbe einen deutlichen Schwerpunkt auf den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der „International Security Assistance Force“ (ISAF) in Afghanistan. Im Norden Afghanistans sind derzeit bis zu circa 5300 Soldaten in Mazar-i-Sharif, Kunduz und Feyzabad im Kampfeinsatz – seit Frühjahr 2009 verstärkt gegen Kämpfer der Taliban und mit ihnen verbündeter lokaler Warlords. Umso erschreckender der aktuelle Fall, den der Wehrbeauftragte vor der Bundespressekonferenz schilderte. Wegen fehlender Fahrzeuge konnten Soldaten einer kurz vor der Verlegung nach Afghanistan stehenden Infanterieeinheit keine Fahrausbildung auf den schweren Transportpanzern „Dingo“ (12 t) und „Fennek“ (10 t) absolvieren. Robbe: „Soldaten, die als Kraftfahrer für schwere gepanzerte Fahrzeuge eingeteilt waren, hatten diese Fahrzeuge zwar schon gesehen, aber noch nicht gefahren.“ Statt dessen müssen die Soldaten jetzt die gefechts-mäßige Beherrschung der Panzer vor Ort in Kunduz lernen, wo Bundeswehreinheiten seit Monaten immer wieder in teils schweren Kämpfen gegen die Taliban stehen. „Das optimale Beherrschen der nicht einfach zu lenkenden Fahrzeuge kann entscheidend sein für das Überleben im Einsatz. Aus diesem Grund fehlt mir jedes Verständnis für dieses gravierende Defizit in der Ausstattung und in der Ausbildung“, kritisierte der scheidende Wehrbeauftragte.

Gerade für eine Armee, die wie die Bundeswehr in Afghanistan in einem blutigen Kampfeinsatz steht, sind hochprofessionell ausgestattete und agierende Sanitäter und militärische Notfall-Mediziner unverzichtbar. Abgesehen von der akuten Erstversorgung von Verwundeten in laufenden Gefechten wie nach Selbstmordattentaten oder Explosionen von Sprengfallen (IEDs) stellt eine umfassende und das gesamte Spektrum medizinischer Versorgung sicherstellende Sanitäts-Komponente einen wesentlichen Faktor für die Motivation und das Selbstvertrauen der Soldaten im Einsatz dar. Genau dieser Rückhalt aber ist nach Robbes Erkenntnissen massiv gefährdet. So fehlen der Bundeswehr seiner Ansicht nach aktuell etwa 600 Ärzte – sowohl für Auslandseinsätze wie zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in den Heimatstandorten. Vor allem immer mehr relativ bescheiden besoldete junge Stabsärztinnen und Stabsärzte verlassen die Bundeswehr in Richtung des zivilen Gesundheitswesens. Auch um den immer häufiger erlassenen Einsatzbefehlen zum Beispiel nach Afghanistan zu entgehen, die in Folge von Ärztemangel und der Untauglichkeit für Auslandseinsätze von fast einem Drittel der Bundeswehrärzte die dafür in Frage kommenden „Tauglichen“ in immer kürzeren Abständen erreichen. Zugleich sind die Bewerberzahlen für den Dienst als Truppenarzt stark rückläufig. Nicht zuletzt sei dies nach Robbes Überzeugung auch auf das „klare Versagen des verantwortlichen Inspekteurs“ zurück zu führen. „Es gibt nicht wenige Experten, die ganz offen davon sprechen, dass dieser Inspekteur die Sanität „regelrecht vor die Wand gefahren“ habe“, so Robbe vor den Journalisten. „In allen Bereichen wurde viel zu spät gehandelt, wurden Entwicklungen regelrecht verschlafen und Probleme offensichtlich bewusst schöngeredet.“

Gerade auch aufgrund seiner Besuche bei der „Truppe im Feld“ in Afghanistan wie auch bei Begegnungen mit Verwundeten und Veteranen des ISAF-Einsatzes stellte der Wehrbeauf-tragte fest, dass der Umgang mit und die Versorgung von im Einsatz traumatisierten Soldaten immer noch erhebliche Mängel und Versäumnisse aufweist. Während die Zahl der sogenannten PTBS-Fälle in der Bundeswehr drastisch zunimmt (2009 wurde die „posttraumatische Belastungs-Störung“ bei 466 Soldaten diagnostiziert, doppelt so viel wie 2008), gibt es innerhalb der Bundeswehr noch immer kein schlüssiges Konzept zur eventuellen Prävention oder konkreter nachhaltiger Therapiestrategien. So schlägt Robbe vor, ein flächendeckendes Netz von Traumazentren aufzubauen. Allerdings dürfte sich ein solches Projekt aufgrund der angespannten Personalsituation bei den Bundeswehr-Psychiatern kurzfristig kaum realisieren lassen: von derzeit 38 Dienstposten sind nur 22 besetzt. Auch die Ernsthaftigkeit der Erforschung von geeigneten Therapiestrategien, die seit vergangenem Frühjahr durch den Fachbereich Psychiatrische Gesundheit am Berliner „Institut für medizinischen Arbeits- und Umweltschutz“ betrieben wird, ist nach Ansicht des Wehrbe-auftragten aufgrund mangelhafter technischer und Dienstpostenausstattung zweifelhaft. Zu diesem Urteil sei auch der Wissenschaftsrat gekommen. Hinzu kommt nach Robbes Erkenntnissen aus zahlreichen Einzelgesprächen mit betroffenen Veteranen ein generell unsensibler Umgang des Dienstherrn Bundeswehr mit im Einsatz traumatisierten Soldaten.

So schilderte er den Fall eines bei Kunduz durch Splitter- und Brandverletzungen schwer verwundeten Stabsgefreiten, von dem die Wehrverwaltung nur wenige Tage nach seiner Verwundung im Gefecht die nach seiner Rückverlegung nach Deutschland zu viel gezahlten
Auslandsverwendungszuschläge (AVZ) zurück forderte. Zwei Wochen nach seiner Verwundung teilte die Bundeswehr dem Zeitsoldaten dann mit, dass er mit Ablauf seiner Verpflichtungszeit entlassen werde. Eine Rückkehr in seinen alten Beruf als Maler und Lackierer wird ihm verwehrt bleiben, da aufgrund der Brandwunden der Umgang mit Lösungsmitteln und chemischen Dämpfen ausgeschlossen sei. Trotz der Schwere seiner
Verwundungen, so prognostizieren die Ärzte dem Afghanistan-Veteranen, werde er im noch laufenden Verfahren zur Feststellung der Berufsunfähigkeit unter 50 Prozent bleiben. Damit bleibt ihm der Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung beim Bund wohl verwehrt. Reinhold Robbe kommentierte: „Der Fall macht auch deutlich, wie sich Einsatz und kriegsähnliche Szenarien auswirken können. Die Bundeswehrführung ist nach meiner Bewertung jedoch mit Blick auf die Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten noch nicht in der Einsatzrealität angekommen.“

Als ein bedenkliches Phänomen beklagte Reinhold Robbe den Mangel an menschlicher Empathie, die von der Gesellschaft den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erwiesen wird. Im Gegensatz zu der Aufmerksamkeit und Solidarität, wie sie in vielen Ländern eine Selbstverständlichkeit sei, spürten Bundeswehrangehörige in Deutschland maximal „freundliches Desinteresse von ihren Mitbürgern“. Robbe appellierte nicht nur an die Politik, sondern auch an alle Organisationen und Institutionen in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft sich an der Schaffung eines breiten gesellschaftlichen Rückhalts für die Soldaten zu beteiligen: „Insbesondere die Eliten im Lande sind hier gefragt.“

Kommentar


» Kommentar von Stefan Jalowy

Berlin, 18.3.2010. Stell Dir vor, Du bist im Krieg – und keiner redet davon. Stell Dir vor, Du fragst nach dem Warum – und keiner erklärt es Dir. Stell Dir vor, Du willst Dein Land verteidigen – und Dein Land lässt Dich im Stich. Stell Dir vor, es kommt unangemeldet ein Politiker aus der Bundeshauptstadt und schaut sich Deine Realität an, hört Dir zu, fragt besorgt nach und - kümmert sich. So in etwa kann man sich die Wahrnehmung des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe bei den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Feld wie in den Heimatkasernen vorstellen.
Und wenn Robbe sich kümmert, dann gehört neben Interventionen zugunsten einzelner Bundeswehr-Angehöriger auch das Erstellen des Jahresberichts, den er dem Bundestagspräsi-denten und damit dem Parlament überreicht. Das ist zunächst vor allem Teil seiner Amts-pflichten. Doch wie alle Pflichten ließe sich auch dieser Wehrbericht pflichtgemäß abarbeiten.

Doch wenn einer wie Robbe den Beschwerden und Mitteilungen aus der Truppe nachgeht und recherchiert und dann resumierend diesen Bericht erstellt, dann enthält das 80seitige Werk statt diplomatisch-nichtssagender Phrasen schonungslos und deutlich formulierte Klagen aus der Innensicht der bundesrepublikanischen Armee. Da wird nicht beschönigend herumgeeiert, sondern die von Befremden, Unverständnis und Frustration geprägte Befindlichkeit jener Männer und Frauen geschildert. Belegt anhand konkreter Fälle, die all jenen Politikern in den Ohren klingen müssten, den als profilierte wie sich profilierende Parlamentarier unseren „Mitbürgern in Uniform“ immer wieder gerne „Dank und Anerkennung“ für ihren Mut und ihren Dienst an Vaterland und Gesellschaft aussprechen. Mitbürger, von denen sich viele sowohl von „der Politik“ als auch von Vorgesetzten entlang der Hierarchiekette inzwischen verschaukelt, verlassen, verkauft fühlen. Denn mit der Metamorphose der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einem verlängerten militärischen Arm deutscher Außen- und Bündnispolitik – und das schließt eindeutig immer stärker auch die Außenpolitik im Rahmen wirtschaftlicher Bündnisse ein – hat auch eine Wandlung von der einst durch die Wehrpflicht in der Gesellschaft tief verwurzelten Bürger-Armee stattgefunden. Hin zu einem in den Geschäftsfeldern äußere Sicherheit und geopolitische Krisenbewältigung tätigen Staatsbe-trieb. In dem Kennziffern, Scores und statistisches Soll und Ist manchmal ernster genommen werden als der wichtigste Faktor jeder Armee – der Mensch in Uniform.

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