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Eine „Bude“ der Entfremdung



Marie-Jeanne Urech schildert in ihrem Roman „Mein sehr lieber Herr Schönengel“ eine absurde Arbeitswelt. Ein kleiner, unscheinbarer Mann bringt das System zum Wanken: durch sanfte Revolte, leise Anarchie – und seine Suche nach einem Bleistiftanspitzer.

Von Monika Thees

Der Hirn und Hände verschlingende Koloss aus Stahl und Beton ragt in die Höhe. Hoch oben, auf Etage 16, thront sein blendendes Auge. Im dunklen Untergeschoss zeichnet Arthur Schönengel, ein „Weisslich“ wie all die unzählig anderen hier, Bleistiftstriche – genau mit dem Lineal berechnet, immer ansteigend. Doch Schönengel, der stille, kleine Mann, ist etwas anders als die gesichtslosen Angestellten der „Bude“. Er zieht aufsteigende Linien von außergewöhnlicher Anmut und sucht das Undenkbare: einen Bleistiftanspitzer und die Frau, die unter ihrem grauen Kittel nackt ist.

In ihrem Roman „Mein sehr lieber Herr Schönengel“ entführt uns die Schweizerin Marie-Jeanne Urech in eine absurde, kafkaesk anmutende Welt. Mit leichten, präzise gesetzten Strichen entwirft sie eine Szenerie des zugespitzt Grotesken und doch bekannt Realen. Aus Versatzstücken einer „entfremdeten“ Arbeitswelt entsteht die fiktive Firma der „Weisslichs“: mit Arbeitsbüdchen von 32 x 29 cm, Jobrotation und 4-minütiger Teepause, einem „Überschuss“ an Humankapital unten im Keller – und fehlenden Anspitzern für die pointierte Arbeit eines A. Schönengel.

„Le syndrome de la tête qui tombe“ heißt der 2006 in der Edition l’Aire erschienene Roman der in Lausanne lebenden Dokumentarfilmerin und Schriftstellerin. Claudia Steinitz hat die wunderbar eigenwillige und sanft subversive Geschichte des Arthur Schönengel jetzt ins Deutsche übersetzt. Marie-Jeanne Urechs klare, rhythmisierte Sprache, ihr Einfallsreichtum und die tollkühnen Wendungen ihres Romans zeichnen sie aus als kreative Sprachschöpferin, die mit feiner Feder und surrealen Bildern eine „totalitäre“ Budenwelt entlarvt.

Eine Bretterbudenwelt aus Marmor, Stahl und Glas, die leicht zu erschüttern ist: Mit einem angespitzten Bleistift lassen sich Bäume zeichnen, aus der nackten Frau im Kittel wird mit etwas Sonne und Wasser ein berauschenden Gewächs, aus dem gottgleichen Weisslich der 16. Etage dank Krise ein Feinschmeckerkoch. Es klingt wie ein Märchen, ist intelligent geschrieben, frisch und unverschämt gut erzählt. Und ein bittersüßer Seitenhieb auf das Hamsterrad alltäglichen Irrsinns, die hohlen Leerläufe einer „Bude“ ohne menschliches Gesicht.

URECH, MARIE-JEANNE: Mein sehr lieber Herr Schönengel. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. bilgerverlag, Zürich 2009. 236 S., 20,00 Euro.



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