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Flower Power mit Gießkanne und Spaten

Erscheint in der Berliner Literaturkritik, Ausgabe November 2009


Sonnenblumen auf Verkehrsinseln, Gemüse auf der Brache nebenan – Botanik-Aktivisten kämpfen gegen Müll, Flächenversiegelung und Beton. Richard Reynolds hat die grüne Bewegung des Outlaw-Gärtnerns dokumentiert.

von Monika Thees

Sie treffen sich im Schutz der Dunkelheit, tragen Gummistiefel und Outdoorkluft und sind bewaffnet - mit Saatgut, Stecklingen und Samenbomben. Ihre Feldzüge sind illegal, doch sie hinterlassen lebendige Zeichen: aufkeimendes Leben auf toten Brachen, blühende Oasen inmitten städtischer Tristesse, botanische Vielfalt statt Einheitsgrau, Müll und Dreck. Auf dass Straßenränder erstrahlen in Blütenpracht, aus Beton Ranken, Tagetes und Efeu sprießen, reiche Ernten eingefahren werden von Land, das als unfruchtbar galt. Sie nennen sich Gartenpiraten, Botanik-Aktivisten oder einfach nur Britta 345, Paul 233 und tragen den Kampf - mit Rechen, Spaten, Ausdauer und Optimismus - auf öde Straßen, heruntergekommene Grundstücke, auf die Schandflächen urbaner Vernachlässigung und Ignoranz.

Guerilla Gardening heißt das globale Phänomen, das sich ausbreitet wie Samen, der von einem Feld aufs nächste weht, eine Bewegung, die Junge sowie Ältere erfasst, Studenten, ökologisch Bewegte, Hausfrauen oder einfach nur Menschen, denen Gärtnern Spaß macht und die selbst die Initiative ergreifen - in New York, Berlin oder London, in Südamerika wie in Japan, Australien. Der Londoner Richards Reynolds, Jahrgang 1977, hat sich an die Spitze dieser Guerilleras und Guerilleros gesetzt. Seit 2004 betreibt der studierte Geograf und freiberufliche Werbefachmann die Website GuerillaGardening.org, eine zentrale Anlaufstelle für Gartenaktivisten aus der ganzen Welt. Jetzt hat er ein botanisches Manifest veröffentlicht, sein Buch „Guerilla Gardening“ dokumentiert die Geschichte der aufmüffigen Pflanz-Bewegung, es enthält Tipps für „Waffenarsenal“ und „Propaganda“, berichtet von gärtnerischen Strategien, Niederlagen im Hickhack mit Behörden und Eigentümern, aber auch und vor allen Dingen – von prächtig gedeihenden Ringelblumen, Schmetterlingsflieder, von Stiefmütterchen im Fassadenbeet.

Gartenarbeit ist ein unermüdlicher Kampf, das weiß der Hobbybotaniker, der Schrebergärtner wie der Gartenbauspezialist, erst recht, wenn die Bedingungen ungünstig sind: Boden, Bewässerung, Sonnenlicht, die richtige Pflege – alles muss stimmen, sonst gedeiht das Pflänzchen nicht, die Buddelarbeit kann keine Früchte tragen. Für die internationalen Saatbrigaden stellt sich die Lage etwas schärfer dar. Sie führen Krieg auf den Schauplätzen städtischer Verwahrlosung: vermüllte Ödflächen, vollgerümpelt mit Abfall, Unrat, Zigarettenkippen – die Front der Öko-Krieger ist die Wüste Stadt, sind von Stadtverwaltung oder Grünflächenamt aufgegebene Flächen, zum Schuttplatz degradiert aus Geldmangel, Desinteresse oder einfach Unachtsamkeit. Das schmerzt, Hässlichkeit tut weh und reizt zum Anpacken, zur geheimen und gemeinsamen Aktion – für mehr Grün, für lebensfrohe Farbtupfer im Alltag, für erholsame Oasen inmitten von Hektik und Lärm.

„Let’s fight the filth with forks and flowers“, auf Deutsch etwa „Krieg dem Müll, mit Rosen und Rechen”, lautet Richard Reynolds Parole und die seiner zahlreichen Mitstreiter beiderlei Geschlechts. Den Londoner hat es vor fünf Jahren gepackt: Er nahm sich zunächst die verwahrlosten öffentlichen Pflanzkübel am Eingang seines Wohnhauses in Elephant & Castle vor, in denen außer Müll so rein gar nichts wuchs. Er riss Unkraut aus, schaufelte Dünger unter, pflanzte rote Alpenveilchen, Lavendel sowie drei stachelige Kohlbäume und fühlte sich als „Undercover-Gartenzwerg.“ Und er machte weiter. Ein Foto vier Jahre später zeigt Reynolds Richards in seinem ursprünglich illegal „besetzten“ Pflanzareal, zu Füßen seines Wohnblocks blüht preisverdächtig ein üppiger Garten. Mit ihm nahm der Guerilla-Aktivist und stolze Besitzer eines Diploms der „Royal Horticultural Society“ schon mehrmals an Gartenwettbewerben teil – nicht mit Auszeichnung, aber höchster Belobigung.

Doch bis zum Blühen der Pflanzen, Stauden und Gewächse, ob legal, nur geduldet oder strikt untersagt, ist es ein weiter Weg. Nur einfach Saatbomben werfen, das wäre zu leicht – Kartoffelreihen auf Golfplätzen und Moosbilder an Betonmauern brauchen außer revolutionärem Elan das nötige Know-how, den sprichwörtlichen „grünen“ Daumen und die (halb) geschlossenen Augen der Obrigkeit – außerdem eine überlegte PR, eine positive Berichterstattung in den Medien und einen stetigen Nachschub an Pflanzgut. Denn es drohen Verluste – durch tierische Schädlinge oder Vandalen in Menschengestalt, manchmal rollt auch der Bagger an und pflügt das frisch gepflanzte Beet mir nichts, dir nichts unter. Auch Wassermangel, Unkraut oder schlechte Bodenverhältnisse lassen so manche Pflanze nicht blühen, geschweige denn knospen oder Wurzeln schlagen. Willensstärke, Optimismus und Pragmatismus heißen deshalb die Tugenden des tüchtigen Gartenrebellen, den Adrenalinschub gibt’s gratis, wenn die Aktion bei Nacht und Nebel beginnt.

Nicht alles, was illegal ist, ist schlecht oder böse, sagt Reynolds. Wie wahr. Viele Projekte sind längst legalisiert und erfreuen sich öffentlicher Anerkennung. Gärten und Grün in der Stadt verbessern bekanntlich das Klima, fördern das Gemeinwohl, sind Stätten der Begegnung und des Austauschs, und sie werden wichtiger denn je. Wenn innerstädtische Kleingärten zunehmend einem renditesüchtigen Bauboom weichen, das Gartenbauamt massiv Stellen streicht und öffentliche Parks unter Wohlstandsmüll und Grilldünsten ersticken, heißt es selbst aktiv werden: „Meist nehmen wir städtische Flächen unter unsere Fittiche, manchmal, aber seltener, auch Land, das Industriekonzernen und Immobilienunternehmen gehört. Aber es sind immer Flächen im öffentlichen Raum, die von vielen Menschen wahrgenommen werden“, so Richard Reynolds im Interview mit dem Magazin „natur + kosmos“ im Oktober 2009.

Guerilla Gardening, der grüne Ableger des zivilen Ungehorsams, macht Schule. Gäertnern, nicht nur auf fremdem Terrain, ist cool, hält gesund und macht einfach Spaß. Und Richard Reynolds hat ein wunderbar frisches Buch geschrieben, das empfohlen sei: allen, die sich klug machen wollen über eine Community, deren Wurzeln bis ins 17. Jahrhundert reichen und die ebenso vielfältig wie inspirierend ist, und erst recht allen, „die daran glauben, dass sich die Welt auch außerhalb der eigenen vier Wände gestalten lässt“ – nicht nur mittels Bürgerinitiativen, mit Protestschreiben und ökologischer Rhetorik, sondern ganz konkret und gleich um die Ecke in der Nachbarschaft - mit Schleierkraut und Schleifenblumen, mit Spaten, Gießkanne, Schaufel, Eimer und der eigenen Hände Arbeit.

REYNOLDS, RICHARD: Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. Aus dem Englischen von Max Annas. Orange Press, Freiburg 2009. 269 S. mit 64 Fotoseiten, 20 Euro.


Youtube Video, ZDF-Report, "Es gibt viel zu tun, pflanzen wir es ein": http://www.» youtube.com/ watch?v=ClSq0w3puUc&hl=de

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