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Scholz will Novelle zur Arbeitsmarktpolitik

Hessischer Landkreistag: Das Gesetz zentralisiert Förderprogramme und vernichtet Kommunale Arbeitsprojekte.

Von Franziska Sylla

Berlin, 19.11.2008. Einundzwanzig Milliarden Euro veranschlagte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) für die Sozialausgaben nach Hartz IV im Jahr 2009. Am Mittwoch, 19. November, bewilligte das Bundeskabinett den Existenzminimumbericht. Zwei Monate später als geplant und Hand in Hand mit dem Beschluss, den Hartz IV-Satz um sechs Euro sowie das Kindergeld um zehn Euro anzuheben. Während die Auswertungen zum Existenzminimumbericht heiß diskutiert werden, wehrt sich die hessische „Aktionsgruppe Option, die bessere Alternative. Bringt Menschen in Arbeit“, gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung, die bereits am 7. Oktober vom Kabinett verabschiedet und am 13. November zur ersten Lesung im Bundestag debattiert wurden.

Die Novelle der Arbeitsmarktpolitischen Instrumente des zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) aus dem Bundesarbeits- und Sozialministerium vom 26. Mai 2008, strafft die Förderprogramme für Arbeitslose. Die Instrumente des SGB III-Maßnahmekatalogs, sie regeln die Kurzzeitarbeitslosigkeit und betreffen etwa dreißig Prozent der erwerbslosen Personen im Main-Kinzig-Kreis, sollen auf den SGB II-Bereich ausgedehnt werden, der umfasse siebzig Prozent der Arbeitslosen und regele die Langzeitarbeitslosigkeit. Die Bundesregierung will die Vielzahl der Arbeitsmarktinstrumente auf etwa Achtzig reduzieren, heißt es in der Begründung zur Novelle. Den Arbeitsgemeinschaften würde ein globales Vermittlungsbudget eingeräumt, das den Handlungsspielraum der Kommunen verbessern soll, genau das Gegenteil sei der Fall, die Ministervorlage „macht eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration unmöglich“, sagte Erich Pipa beim Pressefrühstück am Montag, dem 17. November im Meliá Hotel in Berlin. Der SPD-Landkreisabgeordnete aus dem Main-Kinzig-Kreis: „Langzeitarbeitslose benötigen individuelle passgenaue Eingliederungsmaßnahmen. Die müssen anders gecoacht werden. Die Standardinstrumente des SGB III passen oft nicht für Empfänger von Arbeitslosengeld II“.

Die Hauptmaßnahme für die hessischen Kommunen sei vor allem das Angebot und die Finanzierung von Deutschkursen, „die wir in die Hand nehmen“, sagten Nikolaus Huss, Leiter des Hauptstadtbüros der Aktionsgruppe Option und Wolfgang Müsse (FDP), stellvertretender Landrat im Hochtaunuskreis, bei der Pressekonferenz. Damit sei die Vermittlung von Deutschkenntnissen „auch für in Deutschland geborene Deutsche“ gemeint. „Wer kein Deutsch kann, kann nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden“, ergänzte der SPD-Landkreispolitiker Pipa.

Die Verwaltungen würden zentralisiert und kommunale Arbeitsprojekte vernichtet. Könnten die hessischen Kreise zukünftig nur auf die „Eingliederungsmaßnahmen des SBG II“ zugreifen, käme das eines Todesstoßes gleich für die maßnahmebegleitenden Deutschkurse für Migranten und Spätaussiedler. Nach Auffassung des Bundes reichten die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getragenen Integrationskurse für Ausländer aus. Der Erwerb des Hauptschulabschlusses aus Hatz IV könne nicht mehr finanziert werden - Arbeitsminister Scholz sprach von einem „Rechtsanspruch auf eine Ausbildung“, sagte Pipa. Gruppenqualifizierungsmaßnahmen sind im neuen SGB II nicht mehr vorgesehen. „Es werden Bildungsgutscheine ausgestellt, mit denen die Langzeitarbeitslosen dann alleine gelassen werden“ sagte Wolfgang Müsse. „Das sind keine Leute wie Sie und ich“ erklärt Erich Pipa, „die sich ihren Weg bahnen. Personen dieser Zielgruppen sind häufig benachteiligte Jugendliche und Erwachsene“.

Die kommunale Arbeit sei angewiesen auf verbindliche Zahlungen vom Bund, damit die Berufsvorbereitung und Ausbildung für Jugendliche in Hartz IV durchgeführt werden könnten. „Ich bin fassungslos darüber, wie Dein Haus eine weitere Bürokratisierung der Arbeitsverwaltung auf Kosten der Lebenschancen junger und älterer Menschen betreibt“, schrieb der SPD-Landkreisabgeordnete Erich Pipa Bundesminister Olaf Scholz. Die Antwort kam am 8. Februar 2008 aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales: „Einige der von Ihnen auf Grundlage von § 16 Absatz 2 Satz 1 SGB II erbrachten Eingliederungsleistungen sind zwar rechtswidrig, aber arbeitsmarktpolitisch sinnvoll und für die Eingliederung im konkreten Einzelfall auch erforderlich“.

Erich Pipa gründete daraufhin die Aktionsgruppe Option gemeinsam mit den 21 hessischen Landkreisen und fünf kreisfreien Städten. Als Kommune für Arbeit haben die Politiker eine „Gelnhausener-Erklärung entworfen. Darin fordern sie den Bundesgesetzgeber auf, seine Blockadehaltung aufzugeben und gemeinsam mit den Ländern sowie unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände die dringenden Probleme im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende einvernehmlich in kurzer Zeit zu lösen. Am 1. Dezember soll die Gelnhausener-Erklärung auf einer Strategiekonferenz im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen erläutert und verabschiedet werden. Das hessische Sozialministerium unterstützt diese Veranstaltung finanziell. Rolf Keil, Referatsleiter für Soziales, wird eins der drei Impulsreferate halten. Keil spricht zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente.


„Die Probleme der Gesetzesnovelle werden nicht gesehen“
, sagten Pipa und seine Mitstreiter am vergangenen Montag in Berlin. Das wollen sie auch bei der parlamentarischen Anhörung am 24. November im Reichstagsgebäude einbringen. Damit komme „kein Arbeitsloser in Arbeit“, so Erich Pipa. Dreißig Prozent aller Maßnahmen im zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) erfolgen bisher über die sonstigen Eingliederungsleistungen des §16 SGB II. In der neuen Regel des § 16 SGB II sei nur noch ein Experimentiertopf von zwei Prozent des Eingliederungsbudgets für solche Maßnahmen vorgesehen. „Für den Main-Kinzig-Kreis bedeuteten zwei Prozent 300.000 Euro, benötigt werden aber drei Millionen Euro“, sagte Pipa.

Die Landkreispolitiker stehen nicht alleine da, „der hessische Landtag steht parteiübergreifend hinter unseren Anliegen“, sagte Wolfgang Müsse. Die SPD-Bundestagsfraktionssprecherin für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), kritisiert die Novelle ebenfalls, meldete der Spiegel (Nr. 47, Seite 21), in dem auch Pipa zitiert wird. Nahles sehe durch das Vorhaben viele regionale, gut funktionierende Hilfsprojekte für Langzeitarbeitslose bedroht. Die SPD wolle „mehr Handlungsspielräume für Arbeitsmarktpolitik vor Ort“, sagte Nahles laut Spiegel. In demselben Artikel heißt es, die Neuausrichtung in der Arbeitsmarktpolitik sorge auch bei der Union, in verschiedenen Bundesländern sowie bei Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden für Unmut. Die Hessische CDU-Sozialministerin Silke Lautenschläger sagte laut Spiegel, die Möglichkeiten von Vermittlern und Hilfsorganisationen würden eingeschränkt werden, die restriktiven Vorgaben zu Kosten, Dauer und Ausschreibungspflichten brächten das Aus für viele Projekte.

Am 28. November wird sich der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf befassen. Im Dezember hält der Bundestag die zweite und dritte Lesung zum Gesetz, dann stimmt er ab. Bis dahin will das Aktionsbündnis der hessischen Landkreise und kreisfreien Städte, den Bundestagsabgeordneten, den Ausschussmitgliedern und den Regierungsvertretern die Probleme bei der Übernahme von SGB III-Maßnahmekatalog auf den SGB II-Bereich verständlich gemacht haben.

Das Aktionsbündnis für Arbeit kämpft an vier zentralen Baustellen im SGB II gegen das Gesetzesvorhaben: Die Neuorganisation der Trägerschaft, die Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die gesicherte Ausgabenfinanzierung und die Evaluation der Trägersysteme, die von der Gesetzesänderung betroffen wären. Im Entwurf der Bundesregierung sind drei neue Gesetze hinzu gekommen: § 45 SGB II regelt ein Vermittlungsbudget als neues Instrument. Damit würden bisher eigenständige Instrumente zusammen gefasst werden, wie die Mobilitätshilfe, Bewerbungskosten oder die freie Förderung. Die Vermittler sollen damit vor Ort nach eigenem Ermessen arbeiten können.

Hinzukäme § 46 SGB III mit Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung. Diese sollen acht bisher eigenständige Instrumente, wie die Beauftragung Dritter mit der Vermittlung, Trainingsmaßnahmen oder Aktivierungshilfen, ersetzen (BMAS 2008a: 56).

Mit dem neuen § 421h SGB III soll für die Arbeitsagenturen ein Experimentiertopf eingerichtet werden, um zeitlich befristete Projekte durchzuführen.

Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften und Direktor des Instituts für Bildung und Sozialpolitik der Fachhochschule (FH) Koblenz, sieht bei der Novelle des SGB-Gesetzes „ein ehrenwertes Unterfangen: Im Koalitionsvertrag haben SPD und CDU/CSU vereinbart, auf Grundlage einer Wirksamkeitsanalyse die aktive Arbeitsmarktpolitik grundlegend neu auszurichten und sicherzustellen, dass die Mittel der Beitrags- und Steuerzahler künftig so effektiv und effizient wie möglich eingesetzt werden. Dagegen könne Stefan Sell nichts einwenden. Inhaltlich gebe das neue Gesetz die vermeintlichen Vorteile nicht wieder, „tatsächlich geht es dem Gesetzgeber um einen fundamentalen Systemwechsel im Sinne einer Unterordnung des SGB II unter die Logik des SGB III-Fördersystems“, heißt es in Sell seiner Expertise: „Die schiefe Ebene der Standardisierung und Zentralisierung“, in der er seine Gegenargumente zum Systemwechsel im SGB II und alternative Lösungen darstellt.

Stefan Sell sieht einen vom BMAS initiierten Systemwechsel, der nicht gleich offensichtlich sei, deutlich an der Neufassung des § 16 SGB II, der bislang überschrieben war mit „Leistungen zur Eingliederung“ und im vorliegenden Gesetzentwurf mit „Leitungen zur Eingliederung nach dem dritten Buch“, womit das SBG III gemeint sei. Der bisherige Zugriff auf §16 Absatz 2 Satz 1 SGB II vor Ort würde in der neuen Fassung § 16f SGB II faktisch unmöglich: Die freie Förderung (…), heißt es im Entwurf (BMAS 2008a: 84), wird des Weiteren durch ein Aufstockungs- und Umgehungsverbot sowie die Deckelung (…) der zur Verfügung stehender Mittel auf zwei Prozent des Eingliederungstitels beschränkt.

Die Projektförderung würde auf zwei Jahre und das Mittelvolumen auf zwei Millionen begrenzt. Hinzu komme eine rigide Begründungspflicht für die Anwendung der Leistungen gemäß eines Gesetzeskompatiblen Zertifizierungssystems. Das BMAS begründet seine Änderungen damit, dass der § 16 Absatz 2 Satz 1 SGB II in den Kommunen zu unterschiedlich interpretiert worden sei und nicht einheitlich umgesetzt wurde.

Genau diese flexible und dezentral geführte Arbeitsmarkpolitik vor Ort sei aber das Erfolgrezept der Kommunalen Arbeitsmarktpolitik, argumentieren die hessischen Kreistagsabgeordnete, Städtekreise und Spitzenverbände. „Wir haben kommunale und regionale unterschiedliche Arbeitsmärkte und wir haben Arbeitslose in Arbeit gebracht, die nicht nach Maß geschneidert sind“, sagte Müsse. Seit 1996 gebe es im Main-Kinzig-Kreis die Politik der neuen Wege, als Optionskommune übernahm der Kreis zum 1. Januar 2005 die Verantwortung, die Langzeitarbeitlosen allein zu betreuen. Mit Gründen der Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung (AQA) seien seit 2005 über 10.000 Männer und Frauen in den ersten Arbeitsmarkt integriert worden, heißt es im Mutmachbuch von AQA, indem fünfzehn Lebenswege vorgestellt werden, die sich aus der Staathilfe herausarbeiteten. Das Erfolgsrezept sei, „das wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen“ so Pipa. „Wir pressen sie nicht in dasselbe Schema, sondern betreuen sie individuell und vor Ort“. Das wollen die Landkreisabgeordnete auch weiterhin so tun.

„Am besten wäre, so die Aktionsgruppe Option bei der Pressekonferenz, „die würden § 16 Absatz 2 Satz 1 SGB II beibehalten oder durch eine tatsächliche Freie Förderung nach dem geplanten § 16f SGB II deutlich erhöhen und ohne Einschränkungen durch Aufstockungs- und Umgehungsverbot und Befristungen. Vor allem sollen nicht dieselben erfolglosen Instrumente des SGB III für SGB II-Träger gelten.
(LÄ 2011.2008, fs)

Weiterführende Links:

Bringt Menschen in Arbeit.Aktionsgruppe Option: » www.aktionsgruppe-option.de
Pressesprecher: Kennart Meyer aus dem Main-Kinzig-Kreis.

Options-Modell Hessen, Internetauftritt der hessischen Optionskommunen: » www.hessenoption.de

» www.stefan-sell.de

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