Sie sind hier: Deutschland
Zurück zu: Neue Artikel (gemischt)
Weiter zu: Bildergalerie Finanzen/Wirtschaft Verbraucher Infos Integrationspolitik Bundesrat/Länder Moabit
Allgemein: Kontakt / Redaktion Skellettsicht FAQ Umfragen Politik in Bildern Impressum

Suchen nach:

Volksabstimmung auf Bundesebene erneut abgelehnt

Volksabstimmung, Volksbegehren, Volksentscheid

Aus dem Bundestag

Vom Tisch: Volksabstimmung, Volksbegehren, Volksentscheid

Berlin, 24. 4.2009. In der zweiten Lesung im Deutschen Bundestag (DBT) diskutierten die Abgeordneten über die Direkt Demokratischen Verfahren: Volksabstimmung, Volksbegehren, Volksentscheid und sagten „Nein“. Mit dieser Ablehnung folgte die Große Koalition am Donnerstag, 23. April, der Empfehlung des Innenausschusses des Bundestages. Eine weitere Beratung in dieser Legislaturperiode ist damit ausgeschlossen.

CDU: Direkte Demokratie höhlt das Parlament aus
Der CDU-Abgeordnete Ingo Wellenreuther befürchtete „eine Abwertung des Parlaments“, wenn auf Bundesebene plebiszitäre Elemente zugelassen werden. Selbst wenn der Fraktionsparteivorsitzende der CDU für eine Abstimmung beispielsweise am kommenden Sonntag werbe, worauf ihn die Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgang Wieland (Grüne/Bündnis90) hinwies, für Wellenreuther sei dies nur ein Zeichen dafür, dass die CDU gewinnen wolle, was sie auf den Weg bringe, nicht weil man immer einer Meinung sei. Der Politikverdrossenheit könne damit kein Riegel vorgeschoben werden.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete erkenne keine Neuigkeiten in den drei vorliegenden Gesetzesentwürfen der Oppositionsparteien FDP, Grüne/Bü90 und der Partei Die Linke. „Ich bin der Meinung von vor drei Jahren“, sagte Wellenreuther, die Volksabstimmung sei populistisch, im geschichtlichen Rückblick auf die NS-Zeit untragbar und untergrabe heute noch die parlamentarische Demokratie.

FDP: Bürger sollen politische Entscheidungen mitbestimmen
Die Abgeordnete der FDP-Fraktion Gisela Piltz kritisierte Wellenreuther, der warnte, plebiszitäre Vorgehensweisen seien auf „primitive Fragestellungen“ reduziert, die „einfache Ja-Nein-Entscheidungen“ abverlangten und deren Konsequenzen zu einer Situation führen könnten, wie sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland stattfand.

Der Bürger solle politische Entscheidungen mitbestimmen, das gehöre auch im Grundgesetz ausdrücklich vermerkt, sagte die FDP-Abgeordnete Piltz, auch wenn sie wisse, in der Legislaturperiode sechzehn, werde keiner der FDP-Anträge angenommen werden.

Eine Zwischenfrage von der CDU-Fraktion stellte klar, es sei in der Vergangenheit richtig gewesen, die Entscheidung einer Wiederbewaffnung der Bundeswehr nicht der Bevölkerung als Frage vorgelegt zu haben. Wäre das damals abgelehnt worden, wäre das geschichtlich besonders bedeutsam. Die nordrhein-westfälische Abgeordnete Gisela Piltz dazu: Er unterstelle, die Bevölkerung sei blöd, und er wisse, was er dem Volk überlassen könnte und was nicht. „Demokratie ist nicht einfach, und wer Angst hat, dem Volk zu erklären“ wie Demokratie funktioniert, sollte "sich überlegen, ob Sie hier dann noch richtig sind“.

FDP-Entwurf fordert 1 Million Unterstützungsunterschriften

Der FDP-Entwurf enthalte ein Finanzierungsmodell und bestimme die Quoren höher, als der Antrag der Partei Die Linke. „Die Quoren müssen hoch genug sein, aber nicht so hoch, dass niemand eine Chance hat“ sie zu erreichen. Bürgerliches Engagement sei zu fördern, sagte Piltz weiter, und nicht einzuschränken. 100.000 Stimmen, wie die Linke fordere, seien nicht zu erfüllen. Die Entscheidung sollte auf einer breiteren Basis stehen. Die FDP fordert 400.000 Stimmen bei einem Volksentscheid auf Bundesebene und bei einer Volksabstimmung, sollten eine Million Bürger ihre Unterstützungsunterschriften abgeben. Plebiszitäre Elemente sehe die FDP als „ergänzende Verfahren zu Sachfragen zu den Wahlterminen“.

„Die historische Chance sollte die sogenannte große Koalition nicht verstreichen lassen“. Das Grundgesetz ließe es zu, im Bundestag sei dazu die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, das verhindere einen Minderheitenschutz, sagte sie der Partei Die Linke zugewandt: Der FDP-Antrag sei der allgemein fähigerer Gesetzesentwurf und für die Regierungsparteien annehmbarer. Er fördere „die Demokratie zu erklären, ohne eine subdemokratische Gesellschaft zu produzieren“, weil die Quoren zu gering sein könnten.

SPD: Die Welt geht ohne Direkte Demokratie nicht unter
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann aus dem Wahlkreis Mainz betonte, sechzig Jahre Bundesrepublik Deutschland zeigten ein gut funktionierendes Land, gerade wegen der repräsentativen Demokratie. Die Sozialdemokraten sind für mehr plebiszitäre Verfahren auf Bundesebene, aber die Welt ginge auch nicht unter, wenn sie es heute nicht beschlössen.

Hartmann erinnerte an die Koalitionszwänge der rot-grünen Bundesregierung bis 2005, in diesen Legislaturperioden wurden ebenfalls Gesetzesentwürfe für mehr Direkte Demokratie abgelehnt. Er habe abgewogen in Hinsicht auf seine Regierungskollegen in der CDU und CSU. Von der Tagesordnung solle das Thema zwar nicht wieder fallen, eine Zustimmung zu mehr plebiszitären Elemente sehe er in der Bevölkerung jedoch nicht. Außerdem bergen die Verfahren Gefährdungen und Risiken, Direkte Demokratie „ist kein Allheilmittel“. Hartmann weiter: Es gelte darüber nachzudenken, "wie wir ein Element“ einführen, welches auf Landesebene jedenfalls „nicht zum Untergang des Abendlandes geführt hat, wir haben es in allen Ländern, in allen Ländern. Mit ihrer Zustimmung werden wir das auch auf Europaebene haben, aber nicht auf Nationaler Ebene“.

Die Vorteile von mehr Direkter Demokratie, so der SPD-Mann, seien vor allem die sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie, die den Bürger nicht darauf beschränke, sich nur alle vier oder fünf Jahre zur Demokratie zu äußern, das stabilisiere die Demokratie. Argumente der Manipulationsfähigkeit der Bevölkerung bei der Vorlage bestimmter Fragen, wies er zurück, „damit können Sie jede Demokratie in Frage stellen“. Der SPD-Abgeordnete Hartmann fragte: „durchschauen wir immer alles in der Tiefe?“ und erinnerte an die Finanzmarktkrise und die selbst erlebten Manipulationen. „Sind wir immer sachlich, spielen nicht viele andere Erwägungen“ eine Rolle mit hinein in die Entscheidungen? „Zehn Finger weisen auf uns zurück, wenn wir diese“ verfassungsmäßige Verankerung nicht akzeptieren. „Müssen wir nicht erklären, wir wollen Steuererhöhungen, Senkungen?“

Von der Tagesordnung sei das Thema nicht, Hartmann seine Rede endete mit Kanzlerzitaten: „Der eine Kanzler sagte, wer Demokratie wagt hat recht, die andere Kanzlerin sagte, wer Freiheit wagt gewinnt. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“.

Die Linke hat aus der Vergangenheit gelernt
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Partei Die Linke rückte den Blick auf die Bilanz zum Neuanfang von 1990. Die DDR des politischen Umbruchs habe damals bereits Lernbereitschaft gezeigt, die bei der Vereinigung völlig unter gegangen sein soll. Der SPD-Abgeordnete Franz Müntefering komme fast 20 Jahre später, im Wahlkampf und stelle die Verfassungsfrage. Pau nannte Beispiele aus dem Entwurf DDR-Neu. Eine Mitgift der Vereinigung der DDR mit der BRD habe enthalten: Ohne Zustimmung dürfen persönliche Daten nicht erhoben, verwendet, gespeichert werden. Das sei heute noch aktuell. Nach allgemeinen Murren im Plenarsaal von allen Seiten und Zwischenrufen, sagte Petra Pau, die DDR habe eben aus der Vergangenheit gelernt und wollte es dann besser machen.

Mit der SPD war bisher nicht mehr Direkte Demokratie auf Bundesebene zu machen, sagte Pau, die seit 1998 im Bundestag arbeitet. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sei während seiner Regierungszeit sogar eine Lüge über die Lippen gegangen, Volksabstimmung wäre per Volksabstimmung verboten. Die drei Anträge der Oppositionspartien FDP, Die Linke und Grüne/Bü90 bildeten den Weg zum „Einstieg in Direkte Demokratie“, das sei ein Test. „Demokratieverdruss ist ein Einfallstor für rechte Kameraden, mehr direkte Demokratie ist sich selbst einmischen“, sagte Petra Pau aus dem Wahlkreis Berlin-Marzahn am Donnerstag.

Die Grünen/Bündnis90 werfen der Union Heuchelei vor

Wolfgang Wieland (Grüne/BÜ90) betonte die aktuellen öffentlichen Debatten zu Direkter Demokratie in Berlin, die von der Frage des Umgangs mit Religion als Schulfach handele. Er sagte: „In der heidnischen Stadt wird Gott debattiert“. Ohne Direkte Demokratie auf Landesebene gäbe es diese Auseinandersetzung in Berlin gar nicht, die im übrigen von einem aktiven CDU-Mann initiiert wurde. Bundestagskollege Ingo Wellenreuther heuchle mitsamt der Union, sagte Wolfgang Wieland. Direkte Demokratie war erst auf kommunaler Ebene, dann auf Landesebene und „sobald sie da war, waren sie die ersten CDUler die sich stark gemacht haben, man denke nur an den Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof". Da habe „die CDU so funktionalisiert wie kaum eine andere Partei, aber auf Bundesebene sei die Bevölkerung zu dumm, das hatte Kollegin Piltz von der FDP der Union schon vorgeworfen". Die Opposition habe sehr viel Geduld gehabt, aber die Gesprächsangebote zu irgendwelchen Alternativen seien nicht diskutiert worden, damit verhindere die Union ohne Argumente eine weitere Befassung mit den Gesetzesentwürfen. Würde die CDU heute dem Grünen-Antrag zustimmen, würde die ganze zerrüttete Koalition mit Ja stimmen.

Der fraktionslose Abgeordnete Gerd Winkelmeier aus Rheinland-Pfalz unterstrich, die Gesetzesanträge für mehr Demokratie ins Grundgesetz aufzunehmen. Das sei „ein Angebot zur Einmischung, wie in allen sechzehn Bundesländern. Warum sollen die Bürger auf Landesebene dümmer sein beim Abstimmen auf Bundesebene?“ Mit einem parteiübergreifenden Antrag in der nächsten Legislaturperiode siebzehn könne mehr Druck auf die Union gemacht werden.

Die Gesetzentwürfe enthielten die Behauptung, eine Gesetzgebung auf Basis der Direkten Demokratie sei besser, als alles was wir bisher haben, kritisierte der CSU-Innenausschusssprecher Hans-Peter Uhl. Seit sechzig Jahren sei die BRD gut gelaufen mit der parlamentarischen, repräsentative Demokratie. Es sei ein Trugschluss, dass die Politikverdrossenheit damit abnehme, „das Gegenteil ist der Fall, sie nimmt zu“. (Die Direkt Demokratischen Elemente sind in den vergangenen zwanzig Jahren in allen Bundesländern eingeführt worden, in Berlin, wo sie erst seit 2006 wirken, finden die bisher meisten Volksentscheide statt. Mehr zum Thema unter www.mehr- Demokratie.de. Anm d Red/fs). Der CSU-Mann Uhl ist der Meinung, man müsse „Manns genug sein, zu seinen parlamentarischen Entscheidungen zu stehen“. Dem Wunsch der Grünen war keine Umsetzung beschieden in den sieben Jahren rot-grüner Regierungskoalition. „Den vorliegenden Gesetzentwurf hätten sie damals nicht ernst genommen“. Druck aus der Bevölkerung für Volksentscheide sehe Uhl nicht. Als Abgeordneter halte man den Kopf hin, stehle sich nicht „aus der Verantwortung, auch wenn man nicht wieder gewählt wird“.

Marc Reichel von der SPD bedauerte, dass die SPD die Anträge „ablehnen wird“, auch wenn er fehlende, offene Gespräche mit den Bürgern vermisse, die eine positive Herausforderung seien: „Das, was hier drinnen gilt, gilt auch draußen“. Die allgemeine Ablehnung, sich fürs politische Geschehen zu interessieren mit der Begründung: „Es ändert sich ja doch nichts“, wie Reichel oft außerhalb höre, zeige den Zwiespalt bei den Überlegungen, Direkte Demokratische Elemente seien als wirkungslos gegen Politikverdrossenheit einzustufen. Die Missbrauchgefahr schätzte Reichel milde ein, die Gesellschaft sei „weiter, gebildeter und demokratischer“. Die Gefahren seien auszuräumen, da sich „alles regeln“ lasse, „worüber nicht abgestimmt werden darf“. Das könne der Gesetzgeber explizit hineinschreiben, „wir haben das leider, leider nicht diskutiert, da wären wir aber weiter gekommen“. Direkte Demokratie zersetze nicht das Parlament.

Es sei „nicht immer schlecht und falsch“, schließlich handele es sich immer um die gleichen administrativen Kräfte, die auf Länder- beziehungsweise auf Bundesebene zum Tragen kämen. Die SPD wolle erneut, „in der nächsten Legislaturperiode eine zusätzliche Einführung von plebiszitären Elementen ins Grundgesetz“ debattieren. Für diese Legislaturperiode sechzehn ist die bundesweite Volksabstimmung vom Tisch. (fs)

Weiterführendes


(LÄ 2542009,fs)

Zur Titelseite

Gehe zu: Demokratie- Preis Bonn an Vaclav Havel Sitz des EU-Parlaments im Bundestag debattiert