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CSD 2010 in Berlin: farblos und kommerziell

CSD Berlin 2010: Farblos, unpolitisch, kommerziell

Stefan Jalowy war beim Christopher Street Day am 19. Juni 2010

Bruno (65) kreischt entsetzt: "Das war in diesem Jahr gaaaanz gaaaanz schlimm...!!"
und der schwule Ex-Kostümbildner meint damit das fast völlige Fehlen bunter, kreativer
und vor allem charmant-provokanter Kostümierungen der CSD-Teilnehmer. Oli (35),
seit Jahren CSD-Aktivist und aktives Mitglied der "Grünen", bemängelt die immer
stärkere Kommerzialisierung des inoffiziellen Feiertags der Schwulen- und Lesben-
bewegung: "Irgendwann sind da nur noch Würstelbuden, Dönerstände und Abfüll-
theken - und dann noch ne Menge Werbestände von Mobilfunkprovidern, Internet-
firmen und Markenartiklern, die an die attraktive Zielgruppe der hedonistischen
Schwulen und Lesben ranwollen.

Dabei haben wir doch immer noch eine MengeThemen, die wir als Homosexuelle
in die Öffentlichkeit tragen sollten." So haben die Gewaltdelikte gegen Schwule und
Lesben in den letzten Monaten erheblich zugenommen.
Auch die teils schrill boulveardisierte Diskussion um Gays im
Leistungssport zeigt, dass es mit der Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlich
liebende und lebende Menschen in unserer Gesellschaft nicht ganz so weit her
ist. "Der Wowereit hat auch vollkommen unmotiviert gesprochen und das die
schwulen Jung-Liberalen einen netten Partywagen im Zug gestellt hatten...war
ja ganz nett. Aber wo war denn da deren Partievorsitzender und Vize-Kanzler",
ätzt Oli. "Wir Grüne hatten wenigstens unsere Renate Künast am Start."


Statt politischer Inhalte und ansprechender Mottowagen mit sarkastisch bis
provozierenden Aussagen bot die CSD-Parade einen kilometerlangen Bandwurm,
der weit hinter dem Zeitplan vor dem Brandenburger Tor eintraf. Parolen oder
intelligent-bissige Slogans fehlten ebenso wie mit spielerischer Phantasie und
Kreativität verzaubernde Kostüme. An Bord der mit mehr als hinreichend mit
alkoholischem "Party-Stoff" alimentierten Trucks schienen die von Müdigkeit,
hoher Blutalkoholkonzentration und Langeweile gezeichneten CSD-Feieranten
geradezu erleichtert, als sie auf dem 17. Juni von den Ladeflächen klettern
durften. Dafür scharten sich Fotografen und knipshungrige Touristen um die
Handvoll Drag Queens und Paradiesvögel in Fetisch-Outfits...schliesslich sollte
ja der CSD-Samstag reichlich Pixel-Beute bringen. Für viele Digital-Voyeure
dürfte der Ausflug in die Sub-Kulturmeute auf Berlins Partymeile eher enttäu-
schend ausgefallen sein.

Fotogalerie Copyright by Stefan Jalowy

Meine Galerie



Ganz und gar nicht enttäuschend die Live-Performances auf der Bühne vor
dem Brandenburger Tor. Höhepunkte wie der Auftritt von Klee, Crayfish oder
Faady Malouf begeisterten die letzten Tausend der insgesamt auf etwa 600.000
Köpfe geschätzten CSD-Besucher. Während in den Clubs und Refugien der
Sub Culture-Scene weiter gefeiert wurde, konnte man aus Kreisen der Berliner
Gastronomie ernüchternde Resumées hören. So habe der diesjährige CSD
bei weitem nicht so viele Gäste aus dem Ausland oder den anderen Bundes-
ländern anziehen können. Waren im Vorjahr die Zimmer in den günstigen
Hostels schon Wochen zuvor ausgebucht, blieben in diesem Jahr viele Betten
leer.


"Normal ist anders" lautete das Motto des CSD 2010. "Anders ist anders" -
wäre vielleicht ein Spruch, den sich Organisatoren und Sponsoren, Teilnehmer
und Aktivisten für den CSD 2011 an den Spiegel heften könnten. Sonst könnte
dem CSD schon bald ein ähnliches Schicksal wie der Love Parade blühen. Wenn
Normalität und eine zu routinierte kommerzielle Vermarktung den Charme und
damit den Herzklopfen verursachenden Prickel-Reiz überdecken...könnte der
CSD schon bald nicht mehr als ein ganz normales Event im Veranstaltungs-
kalender der Hauptstadt sein.

http://www.csd-berlin.de/

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