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Posttraumtisches Belastungssyndrom

wenn der Krieg die Seele besetzt.

Autorin und Ex-Militärärztin Heike Gross. (Bild: stj)

Neue Seite 1

Immer mehr Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr leiden unter den traumatischen Einsatz-Bedingungen des Guerilla-Kriegs am Hindukusch

 

Von Stefan Jalowy

 

Befrieden – ein schönes Schlagwort, geht es um Afghanistan. Truppenverstärkung, Reserven, mutige Soldatinnen und Soldaten – das wird in dem Protokoll zur Regierungserklärung von Vize-Kanzler Westerwelle und nachfolgenden Aussprache im Parlament zu lesen sein. Ein Stichwort jedoch fehlte: PTBS – die „Posttraumatische Belastungsstörung“, wie es im Mediziner-Deutsch heisst. PTBS bedeutet für viele Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften eine existenz- gefährdende Folge ihres Afghanistan-Einsatz im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland. Vom „Afghanistan-Trauma“ der Bundeswehr-Soldaten und -Soldatinnen war in der Aussprache – in früheren Jahren unserer Demokratie noch „Debatte“ genannt -  nichts zu hören. Dabei ist Afghanistan in der deutschen Bevölkerung vor allem deshalb nach wie vor ein die Menschen und Gemüter berührendes Thema, weil bis heute 36 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ihr Leben im Einsatz verloren haben. Oder wie es schon lange im wahren Leben außerhalb des Parlaments oder diverser Konferenzen heißt: 36 deutsche Soldaten sind in Afghanistan gefallen, 129 Angehörige der Bundeswehr wurden bei ihrem Einsatz im Rahmen der „International Security Assistance Force“ (ISAF) verwundet.

 

Doch das sind längst nicht alle, die aus dem Einsatz zur Verteidigung der Sicherheit Deutschlands am Hindukusch mit Verwundungen heimkehrten. In ihre Kasernen und Reihenhäuser, zu ihren Familien, Freunden, Kameraden. Auf ihrer offiziellen Homepage gibt die Bundeswehr zu, dass „Fälle von psychisch traumatisierten Soldatinnen und Soldaten (PTBS)...aufgrund ihrer Komplexität nicht hier erfasst“ würden und verweist auf das eigens eingerichtete Internet-Portal „PTBS-Hilfe“ (www.ptbs-hilfe.de). Die Fallzahlen von traumatisiert, also psychisch verwundet aus Auslands-Einsätzen heimgekehrten Soldaten beziffert die Bundeswehr mit 487 Soldatinnen und Soldaten allein 2009. Davon waren 418 Patienten zuvor in Afghanistan. Doch die wahre Zahl von an PTBS erkrankten Bundeswehrsoldaten dürfte wesentlich höher liegen als die dienstlich erfassten Fälle. Denn jenseits der Zahl offizieller Krankmeldungen aufgrund psychischer Folgen nach beendetem Einsatz in Afghanistan dürfte die Dunkelziffer traumatisierter Soldaten hoch sein. Es ist in der Truppe offenes Geheimnis, das viele Afghanistan-Heimkehrer sich zurück in ihren Truppenteilen auf den ersten Blick unauffällig, also dienstfähig verhalten. Aus Angst vor einem Karriereknick, vor einer möglichen Frühberentung oder schlicht, um das Bild vom „harten Mann“ oder der „toughen Frau“ in Uniform vor sich selbst, den Kameraden wie auch vor Familie und Freunden zu wahren, verbergen viele ehemalige ISAF-Angehörige ihre seelischen Verwundungen. Aber wenn ein ehemaliger Patrouillenführer abends immer noch die Sträucher im heimischen Reihenhausgarten nach getarnten Taliban-Kämpfern absucht oder ein Kompaniechef vor der Fahrt zum samstäglichen Supermarkt-Einkauf unter dem Familienauto nach selbst gebastelten Sprengsätzen sucht (und es seiner Frau mit angeb-lichen Ölflecken unter dem Wagen erklärt), wird deutlich, wie tief der alltägliche Horror des „bewaffneten Konflikts“ am Hindukusch in unseren Soldaten steckt. So tief, dass sie heimgekehrt ins friedliche Deutschland ihren Frieden nicht finden können.

 

Die Soldaten, die als Teil der Bundeswehrkontingente in Afghanistan eingesetzt werden, durchlaufen vor ihrem ersten ISAF-Einsatz eine intensive „einsatzvorbereitende Ausbildung“ an der Infanterieschule im fränkischen Hammelburg. Detailliert werden Taktiken und Verhaltensregeln gemäss der „Rules of Engagement“, der „Regeln für den Einsatz“, ausgebildet und gedrillt. Ziel ist es, die Aufträge der Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet ohne Verluste in den eigenen Reihen wie auf Seiten der Zivilbevölkerung durchführen zu können. Für die Soldaten handelt es sich meist um das Erlernen der Verhaltensweisen, um das eigene Leben und das der Kameraden zu schützen oder zu retten. Doch so realistisch die Ausbildung im Einzelnen auch sein mag, so wenig kann sie das wahre Leben unter permanenter Lebensgefahr simulieren und darauf vorbereiten. Wie es sich anfühlt, wenn ein Geländewagen von einer Sprengfalle in die Luft gejagt wird. Die Kameraden und Freunde, mit denen man am Abend zuvor noch die Bundesligaspiele im Satelliten-TV gesehen hat, schwer verletzt in ihrem Blut liegen und vor Schmerzen schreien. Oder ein verkohlter Torso neben dem explodierten Fahrzeug liegt. Wie es sich anfühlt, wenn man sich bei jedem Schritt und jeder Fahrt außer-halb der befestigten Bundeswehr-Camps im Visier einer „Kalaschnikow“ oder einer Panzerfaust fühlt. Wie es sich anfühlt, wenn man auf Patrouille in einen Hinterhalt gerät und in stundenlangen Feuergefechten mit einem Gegner, der durch keine Uniform oder Abzeichen als Kombattant zu erkennen ist, auf Leben und Tod kämpft. Wie sich dieser Nervenkrieg anfühlt, mit dem Gue-rilla-Kämpfer durch diese Form der „asymmetrischen Kriegsführung“ reguläre Streitkräfte demoralisieren. Wie es sich anfühlt, wenn dann auf die Frage nach dem „Warum“ weder Vorgesetzte noch Politiker und auch nicht die Medien eine auch nur halbwegs sinnvolle und verständliche Antwort geben können. Und wenn dann das Alles nur noch mit Willenskraft, Loyalität und Pflichterfüllung zu bestehen ist. Das ist dann auch die Mischung, mit der viele der aus Afghanistan zurückgekehrten Soldaten versuchen ihre Traumatisierung auszublenden und versuchen, mit ihrem Alltag in der Truppe und in der Familie weiterzumachen wie vor dem Flug in den „bewaffneten Konflikt“. Nicht wenige dieser „stillen Traumatisierten“ haben schon die nächste Kommandierung nach Mazar-e-Sharif, Kunduz oder Feyzabad in der Tasche und können sich dagegen nicht wehren, weil sie daheim ihre Familien ernähren müssen.

 

Legt man die Zahl von geschätzt bisher über 60.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zugrunde, die im Rahmen sowohl des ISAF-Mandats in Afghanistan als auch bei Auslandseinsätzen auf dem Balkan dienten, und nimmt man ein Potential von möglicherweise bis zu 10 Prozent offizieller wie verdeckter PTBS-Fälle an, so sind nicht nur einige Tausend Afghanistan-Veteranen betroffen. Betroffen ist auch eine drei- bis fünffach so hohe Zahl an Familienmitgliedern, Lebenspartnern und engen Freunden. Offenbar ist aber diese Folge des deutschen Engagements im Rahmen der ISAF-Mission fast allen im Bundestag vertretenen Parteien eher unangenehm, da sie alle mit Ausnahme der „Linke“-Fraktion als aktuelle oder ehemalige Regierungsparteien den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr mitbeschlossen  haben und daher in der Mitverantwortung für die Konsequenzen stehen. Im Bundestag wird aber über die Spätfolgen des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr geschwiegen – obwohl die Teilnahme der Bundeswehr an der ISAF-Mission mit jedem durch den Bundestag erneuerten Mandat „im Namen des Volkes“ stattfindet.

 

Dabei ist das Kriegs-Trauma der deutschen Afghanistan-Heimkehrer spätestens seit letztem September ein Thema, über das in den Medien breit und intensiv berichtet wurde. Anlass war die Veröffentlichung des Buches „Ein schöner Tag zum Sterben“ der ehemaligen Oberstabsärztin Heike Groos, in dem sie ungeschönt und offen über ihr Trauma nach fünf Einsätzen in Afghanistan berichtete. Die ausgebildete Notfallmedizinerin leitete 2003 die „Medi-cal Evacuation Company“ (MedEvac-Kompanie) im „Camp Warehouse“ der ISAF in Kabul, als ein Selbstmordattentäter einen Bundeswehrbus, der sich mit Heimkehrern auf dem Weg zum Rückflug nach Deutschland befand, in die Luft sprengte. Vier Fernmeldesoldaten und zwei junge afghanische Männer starben, 31 weitere Menschen wurden teils schwer verletzt. Obwohl Groos nach diesem traumatischen Erlebnis noch weiteren Einsatzbefehlen an den Hindukusch folgte, kam bei ihr „erst“ 2008 der Zusammenbruch: tiefe Depression, Arbeitsunfähigkeit, die Schreckens-Bilder aus den Einsätzen hat sie auch heute immer noch vor Augen. Doch das Schreiben des Buches half der Medizinerin einen Teil ihres Afghanistan-Traumas aufzuarbeiten. „Ein schöner Tag zum Sterben“ stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, Groos war Gast in zahlreichen Talk-Shows und unzählige Zeitungsartikel themati-sierten erstmals die PTBS-Erkrankungen von Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr.

 

Sofort nach Erscheinen ihres Buches meldeten sich zahllose ehemalige Kameraden bei Ex-Militärärztin Groos und berichteten nicht nur von ihren persönlichen Traumatisierungen. Sondern auch von den offenbar mangelhaft geeigneten Maßnahmen des Arbeitgebers Bundeswehr für seine in Ausübung des Dienstes an der Seele verwundeten Fürsorgebefohlenen. Auch an den im vergangenen Sommer gegründeten Selbsthilfe-Verein „TraumAlos“ (www.traumalos.de) wenden sich immer mehr Soldatinnen und Soldaten, denen die Rückkehr in ihren beruflichen und privaten Alltag nach Einsätzen in Afghanistan, Bosnien oder im Kosovo nicht mehr gelingt. Auf der Homepage des Vereins schreibt ein Oberst und Regimentskommandeur: “Unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind Menschen, die Hilfe brauchen, Menschen, die gehört werden wollen und gehört werden müssen...“

 

Zwei Witwen von in Afghanistan gefallenen Soldaten appellieren: „Unsere Verstorbenen werden wir niemals vergessen, doch unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten dürfen auch nicht vergessen werden und es sollte nicht an der notwendigen Unterstützung fehlen.“ Katharina Maria Pongratz, Oberleutnant und 2. Vorsitzende von „TraumAlos“, spricht das aus, was viele Soldaten mit Afghanistan-Erfahrung denken – und nur wenige offen auszusprechen wagen: „Ich bin stolz darauf, Soldat zu sein. Das Tragen der Uniform erfüllt mich. Dieser Stolz verblendet jedoch nicht den Blick auf das, was im Argen liegt.“

 

Und im Umgang mit den PTBS-Folgen des Afghanistan-Einsatzes scheint so Einiges bei den Streitkräften im Argen zu liegen. Zwar hat die Bundeswehr im Mai 2009 das „Institut für Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr“ in Berlin um den Fachbereich „Psychische Gesundheit“ erweitert. Doch dort sollen lediglich Therapieansätze für PTBS-Opfer erforscht werden – die konkreten Behandlungen hingegen werden an den regionalen Bundeswehr- krankenhäusern durchgeführt. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe , äußerte sich End2009 in einem Zeitungsinterview unzufrieden mit diese halbherzigen Maßnahme der Bundeswehr: „Wir brauchen ein eigenständiges Institut, ausgestattet mit ausreichend Personal, um vorbeugen, behandeln und forschen zu können. Auf diesen drei wichtigen Säulen muss die Arbeit des Instituts stehen.“

 

Im Schulterschluss mit Ex-Bundeswehrärztin Groos unterstützen Pongratz und die Mitglieder von „TraumAlos“ das nächste Buchprojekt der Autorin über die stillen Kriegsopfer und ihre Trauma-Verwundungen. Unter dem Arbeitstitel „Ich bin nicht allein“ entsteht derzeit ein Buch, in dem Veteranen der deutschen ISAF-Kontingente wie auch anderer Auslandseinsätze der Bundeswehr ihre traumatischen Erlebnisse „im Feld“ und die teils entwürdigenden Erfah-rungen „zurück in der Heimat“ schildern. Ziel des Buches, das der Fischer-Verlag noch in diesem Jahr veröffentlichen will, ist eine ehrlichere Diskussion in unserer Gesellschaft und vor allem auch in der Politik über die Folgen des deutschen Afghanistan-Engagements. Schwerpunkt: die Kriegstraumata, mit denen deutsche Soldaten aus den Einsätzen heimkehren. Dazu Pongratz: „Auch heute wird PTBS oft unterschätzt und belächelt, manchmal sogar verleugnet. Das heißt für uns alle: Es gibt viel zu tun. Jammern bringt uns jedoch nicht weiter; es wäre zudem unfair gegenüber all denen, die tagtäglich Ihr Bestes geben und versuchen, für uns da zu sein. Lasst uns kämpfen. Kämpfen für die, die keine Kraft mehr haben.“

 

In seiner Rede vor dem Bundestag betonte Ex-Außenminister und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gestern, dass ein „kopfloser Abzug aus Afghanistan“ eine Katastrophe für die Menschen in dem seit fast drei Jahrzehnten unter Krieg und Bürgerkrieg leidendem Land bedeuten würde. Viele der traumatisierten Soldatinnen und Soldaten teilen diese Meinung – teils aus Loyalität zu ihrem Dienstherr, teils aus der in eigener Anschauung gewonnenen Überzeugung, man muesse schon aus Menschlichkeit der friedlichen Mehrheit der Zivilbevölkerung Afghanistans zu menschenwürdigen Lebensgrundlagen und Zukunftsperspektiven verhelfe. Auch unter Einsatz der eigenen Gesundheit oder des eigenen Lebens.

Aber für diesen Mut können die Bundeswehrsoldaten ihrerseits mehr erwarten als ein schnell verklungenes „Dank und Anerkennung“ vom Rednerpult des Deutschen Bundestages.