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Antonino Orlando schildert in seinem utopischen Roman die Suche des jungen Mündels Adolar nach einem ihm gemäßen Leben: Er findet es in einer Gemeinschaft des Lesens und der Kultur - im „Reich des schwimmenden Kaisers“.

Von Monika Thees

» © Berliner Literaturkritik, 28.12.2009

Eine drängende Sehnsucht erfüllt ihn, er will fort aus Harzeneck, dem beengenden, steinernen Nest, hin zu einem ihm gemäßen Ort des Friedens, des Glücks, der Entfaltung. Der junge Adolar, im Rathaus beschäftigt als Kopist und Schönschreiber, verlässt die Stadt der Sicherheit, eine Stadt der Festungsbauer, Grabenausheber und Wallaufwerfer, der es ein ums andere Mal gelingt, den anstürmenden Rotten der „Grauen“ standzuhalten. Doch Adolar, nur ein Mündel, uneheliches Kind einer Meistertochter und eines unbekannten Barons aus dem Süden, spürte schon lange Fremdheit inmitten der wehrhaften Bürgersleut, er folgt dem Versprechen einer „Welt der Gedanken und Ahnungen, die aus den Büchern aufstieg und doch seine eigene war“.

Kein tollkühner Ritter bricht hier auf zur Aventiure, kein argloser Jüngling zieht hinaus und stellt sich den für ihn bestimmten Proben, Antonino Orlando lässt einen jungen, belesenden Helden auf die Suche gehen – in einem großartigen Roman, der den Leser ins Märchenhafte entführt, in eine fantastisch anmutende Gegenwart irgendwo zwischen Mittelalter und Neuzeit, ein imaginäres Land zwischen Norden und Süden. Spannungsreich, mit plastischen Figuren und in nötiger Stilisierung erzählt der aus Italien stammende und seit vielen Jahren in der Schweiz lebende Germanist die Geschichte Adolars: in einem geschickt komponierten Fantasy-Roman, der unterschiedliche Lebensentwürfe gegeneinanderstellt, der ein Entwicklungs- und Bildungsroman ist – und ein Lesevergnügen für jeden, ein eintauchen möchte in das sanft tragende „Meer der Wörter“.

Andere Orte, andere Sitten

Adolar reitet allein durchs Land, ein geschunden-verwüstetes, das gelähmt ist in Angst vor den plündernden „Grauen“, die mit achtspännigen Panzerwagen hervorschnellen, die brennen, rauben, zerstören und dann mit ihrer Beute verschwinden in den Weiten der nördlichen Wüste. Er trifft einen Weggefährten, den Bäckerburschen Wendelin, den der tägliche Mehlstaub fast erstickte; ihr gemeinsames Ziel heißt Tausendstein, die neue Hauptstadt und Verheißung unzähliger Glücks- und Gelegenheitssucher. Zerlumpte Schreckensgaukler künden entlang des Wegs von Diebstahl, Zertrümmerung, Gemetzel. Doch Tausendsteins hartes Glänzen hält die Reisenden in Bann. „Von keiner Ringmauer begrenzt, streckte sie ihre Fänge ins Reich aus und war offen für allen Zustrom, für alle Gefahren.“

Hier kann jeder reich werden, prosperieren, sein Vorderhaus mit Fresken bemalen, wirr, bunt und ganz unwahr; er kann sich schmücken mit Bändern, Kettchen und Medaillons, sich schminken, dekorieren wie das Fräulein Klementine Napf, die reiche Erbin eines Steinbruchs, die keck meint: „Es ist ein Glück, daß meine Eltern so früh gestorben sind, die lieben!“ Er kann reüssieren als Geschäftsmann, Makler, Finanzjongleur - oder als ein Niemand verschwinden im nicht sichtbaren Hinterhaus. „Prachtvoll, aber auch unheimlich war diese Stadt“, doch „Wer anderes als Geld sucht, verirrt sich in Tausendstein“, warnen Marlies und Niklaus, die beiden Alten: „Schön und gefährlich sind die Paläste mit Blick auf die Straßen. Wohl verschaffen sie Ansehen bei den Nachbarn, zugleich aber locken sie die Grauen aus der Wüste [...] Die Zerstörung ruft nach Renovation, die Renovation verursacht Ausgaben, die Ausgaben bedingen Gewinn [...]“

„Sie ruhen nie, wir plündern immer.“

Eine unheilvolle Allianz verbindet das geschäftige Treiben der Tausendsteiner mit ihrem Widerpart, den schwarz maskierten, strenger Askese verpflichteten Männern des Fürsten Valpagiris, die Gold, Geschmeide, Teppiche und Truhen nach Felsenstein karren und dort versenken im Ödloch, einem nimmermüden Schlund. „Unsere Beute muß es werden und in Finsterfels ruhen, ungebraucht und für immer.“ Der furchtlose Wendelin, ganz Mann der Tat, wagt den gefahrvollen Weg übers Pechmeer zur Insel im Leerland, er scheut nicht vor dem Blick ins Nichts, in den Schacht: In seiner Tiefe türmen sich die erbeuteten Schätze, immer höher steigen sie auf vom Grund – bis zum baldigen Überquellen, zum Stillstand, zum Aus.

Gibt es eine Alternative zu Abwehr, Gier, dem sinnlosen Horten von Schätzen? Einen Ort der Heiterkeit, des Vergnügens, der Lust? Im bescheidenen Schlaraffenländchen des Fürsten Lustolfs, im Lerchental, finden sich die Helden des Misserfolgs und der Enttäuschung zum dauernden Fest. Ein einziger Feierabend ist ihr Tag, Labsal für „unglücklich Verliebte, tragisch Gescheiterte [...] Gläubiger vor dem Ruin [...], aber auch untüchtige, ehrgeizlose, empfindliche, versponnene Personen mit hohen Ansprüchen und ohne Berufung“. Bei Speis und Trank finden Adolar und Wendelin vorübergehend Rast. Doch worum geht es hier? Um die Freiheit? Oder die Faulheit? Kein tätiges Leben erwartet die Suchenden in Lustolfs Lerchental, nur ein dumpfes Beharren im Erdrückend-Angenehmen, keine Entwicklung, kein Wachsen.

Das Ziel der Suche

Dies ist ihnen nur möglich in der Stadt des unendlichen Anfangs, der alten Residenzstadt Prinzenwald mit ihrer Bibliothek, dem Theater, mit ihren Bäumen, Parkanlagen, den Wasserläufen und Kanälen. Hier ist alles im Fluss, hier vereinen sich Kultur und notwendige Arbeit zum Miteinander, zu einem Leben mit Maß, in schöpferischer Muße und Erneuerung. Adolar und Wendelin treffen auf Gleichgesinnte, sind ihnen verbunden im lebendigen Gespräch; in Prinzenwald begegnen sie dem jüngsten und letzten Kaiser des Reichs, Leander, der abgedankt und die Reichinsignien begraben hat, der ins Wasser steigt, kraftvoll schwimmt und von dem es heißt: „Ihn erquickte ein klarer Rausch.“ Eine Anstrengung, lustvoll und lohnend – wie die Lektüre dieses Romans, der geschrieben ist mit eleganter Feder, ein Spiel der Wörter, voller Leichtigkeit und getragen vom Zauber der Utopie.

ORLANDO, ANTONINO: Im Reich des schwimmenden Kaisers. Roman. Karin Fischer Verlag, Aachen 2008. 486 S., 29,40 Euro.

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