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Kein Prinz Eisenherz – der Krieg im Mittelalter


In „Ritter und Raufbolde“ vermittelt der Regensburger Historiker Martin Clauss keine edle Version, sondern ein differenziertes Bild. Der reale Krieg im Mittelalter kennt kaum strahlende Helden, dafür blutbefleckte Kämpfer und unzählige, namenlose, grausam zugerichtete Opfer.

Von Monika Thees

Das gefällige Bild trügt: Kein wackerer Recke reitet in strahlender Rüstung in den Kampf, von furchtlosem Heldenmut durchdrungen. Sein Kampf ist kein Spiel, fair und ritterlich, sein Schwert „singt“ nicht beim Schlag wider den Gegner, der Ritter führt die Lanze nicht für Ehre, den Ruhm, die vom Sänger in kunstvollen Strophen zu preisende Tapferkeit. Der reale Krieg im Mittelalter eignet sich nicht als Kulisse für den sportlichen Wettstreit zwischen Freund und Feind, er produziert keine makellosen Helden. Auf dem Feld des Krieges geht es immer ums Ganze, der Kampf folgt einer zeitlosen Logik: Sieg oder Niederlage. Das Mittel zum Sieg ist die Gewalt. Sie ist grausam und ernst, ihre Ernte blutig. Zurück bleiben Opfer, tote, sterbende, verstümmelte Menschen, ein verwüstetes Land, Hunger, Elend, Not – und die heldenhafte Glorifizierung des Siegers in den Annalen der Geschichte.

Erst die nachträgliche Erzählung schönt den Blick. Wir glauben zu gern dem weichgezeichneten Bild – dem Heldenepos aus der Feder des Barden, der Sage, dem Hollywoodstreifen oder der Nachstellung als Live Action Role Playing in herbstlichem Licht. Seit der Romantik wird es verklärt, stilisiert und beschworen, das Mittelalter bietet uns eine kleine Auszeit, es floriert, als mehr oder minder nostalgische Rückschau in Form von Filmen, Büchern und Mittelaltermärkten. Das kriegerische Scharmützel geriert zur Unterhaltung mit erfolgreichen, sportstudiofitten Akteuren. „Das populäre Bild vom mittelalterlichen Krieg steht genau an der Schnittstelle des positiven Mittelalters und des unterhaltsamen Krieges“, schreibt Martin Clauss. In seinem in der Reihe „Geschichte erzählt“ des Primus Verlages erschienenen Band „Ritter und Raufbolde“ setzt der Regensburger Historiker der gängigen „edlen“ Version ein vielschichtiges Bild entgegen, eines, das nicht nur die vielbesungenen Helden zeigt, sondern die dunkle, düster realistische Seite: brutale Kämpfer, raubgierige, mordlüsterne Kombattanten – und vor allem unzählige, namenlose, grausam zugerichtete Opfer.

Dieser differenzierte Umgang mit dem Thema und seinen Quellengrundlagen birgt Chancen, Risiken und Nebenwirkungen, wie Clauss notiert: „Viele der mittelalterlichen Texte über den Krieg sind [...] von der Tendenz geprägt, den Krieg heroisch und verharmlosend zu präsentieren.“ Sie sind bestrebt, Helden zu machen, sie vernachlässigen das Elend. Sie konzentrieren sich auf ritterliche Kämpfer und verschweigen alle anderen. Die bekannte Dreiteilung der feudalen Gesellschaft (Adel, Klerus, Bauern) suggeriert, dass nur der Adel (die Krieger – bellatores) in den Kampf zog, obwohl Angehörige aller Schichten beteiligt waren: Erzbischöfe traten trotz christlichen Friedengebots als Reichsfürsten aufs Schlachtfeld. Bauern waren meist präsent, sie stellten den Großteil der Kämpfer, übernahmen nach dem Niederwurf des Gegners durch den hoch zu Ross sitzenden Ritter das schmutzige Geschäft des Tötens. Arbeitsteilung gemäß herrschender Hierarchie und sozialer Reputation.

Der König ruft zum Krieg, als Kriegsherr und Kämpfer reitet er voran, schart seine Gefolgschaft um sich, diese das Tross ihrer Untergebenen. Das mittelalterliche Heer ist als Netzwerk geknüpft, es ist ein „Personenverbandsheer“. „Die Rekrutierung von Kämpfern erfolgte oftmals entlang den Kommunikationslinien von Familie und Herrschaft.“ Für adlige und freie Kämpfer galt eine Lehns- oder rechtliche Verpflichtung, für die anderen wenn nicht Zwang oder magerer Sold, so die Aussicht auf lukrativen Gewinn: Beute durch Plünderung, Teilhabe am Lösegeld. Der Krieg war ein Risikogeschäft mit hohem Einsatz. Nicht jeder konnte reich oder lebendig zurückkehren, doch wem das Glück hold war, profitierte als gemachter Mann. Die Aussicht auf Gewinn lockte, „Glücksritter“ rechnen nicht in buchhalterischen Kosten-Nutzen-Kategorien, sie setzen auf ihren Wagemut und die Gunst der Stunde, die Gelegenheit, die Chance.

Der Krieg im Mittelalter hat viele Gesichter. Er ist Feldschlacht, Belagerung oder Kriegszug. Doch die offene Feldschlacht, die große „Entscheidungsschlacht“, bezeichnend für Kriege des 19. Jahrhunderts (Waterloo, Königgrätz), war eher die Ausnahme, und wenn, dann war sie wild, grausam, ein unberechenbares Getümmel. Strategisch ausgeklügelter und waffentechnisch fortschrittlicher gestaltete sich die Belagerung: „Bei der Wahl der verwendeten Munition konnten mittelalterliche Krieger erstaunlich ‚modern’ sein und zeigten sich als Meister der biologischen als auch psychologischen Kriegsführung“, so Clauss. Tote Pferde, Leichen, Leichenteile wurden in die belagerte Stadt katapultiert. „Sie banden die [pestinfizierten] Leichen auf Wurfmaschinen“, heißt es über die Belagerung der genuesischen Stadt Caffa auf der Krim (1346). Das letzte Mittel oder gängige Kriegspraxis, so wirkungsvoll wie das Aushungern einer Stadt? Kriegsrechtliche Einwände, ritterliche Rücksicht, moralische Bedenken? Von wegen, sogar die Belagerten trieben wehr-, also nutzlose Alte, Frauen, Kinder und Kranke aus der Befestigung in die Gräben, zwischen die Fronten, in den erbarmungslosen Hunger- und Kältetod.

Die Leiden der Wehrlosen, der Zivilbevölkerung, begann jedoch schon früher – beim Kriegszug. Plündern und verwüsten, Beute machen – das durchziehende Heer ist Selbstversorger und bedient sich, ganz zweckrationalistisch, an Hof, Vieh und Vorräten der Bauern der Feindes-, auch der eigenen Seite. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten ist zwar terminologisch jüngeren Datums, dem Mittelalter war sie durchaus bekannt. Doch: „Im Krieg geht es nicht darum, Opfer zu werden, sondern andere zu Opfern zu machen. Opfer sind dessen ureigenster Zweck. Sie sind nur in einer sehr zynischen Logik ‚kollateral’“, schreibt Clauss. Vergewaltigung, Schändung, Vernichtung durch Feuer, Deportation – die mittelalterlichen Quellen berichten davon nicht viel, ein Indiz, dass sie allgegenwärtig waren, der Erwähnung nicht wert. Mit Alltäglichem konnte der Chronist niemanden beeindrucken, berichtenswert war und ist stets nur das Außergewöhnliche.

„Entscheidende Voraussetzung dafür, dass Gewalt Publikum unterhalten kann, ist ihre Qualität.“ Dies gilt nicht nur für den Recken Siegfried, James Bond und den neuesten Tarantino, sondern generell: Nur der Kampf gegen das „Böse“, die „gute“ Gewalt, hat Anspruch auf Heroisierung. Die Helden fahren die Ernte ein, die Feinde werden (heute mit dem MG) umgemäht. Die mittelalterliche Berichterstattung setzt auf Poesie (Lied vom Sachenkrieg), auf Buchmalerei, zwar blutig detailliert, aber künstlerisch überhöht, heroisch überzeichnet. Und sie zielt auf die Delegitimierung des Gegners: Gräueltaten begehen immer nur die anderen – dies ist bekannt. Eigene Gewalt unterliegt dem Argument der Reziprozität: „Wir sind brutal, weil die anderen auch brutal waren.“ Eine vertraute Logik, ein Befund, der erschreckend die Ähnlichkeit mittelalterliche und moderner Konflikte veranschaulicht.

Und dies ist das Verdienst dieses Buches: Martin Clauss vermittelt nicht nur, gestützt durch Zitate, Abbildungen und in abgesetzten Kästen erläutertes Waffenarsenal, ein wirklichkeitsgetreues Bild des Krieges im Mittelalter, er setzt Parallelen: zwischen der damaligen Produktion von Helden und unserem Bedürfnis nach ihnen, zwischen der Darstellungsabsicht der Chronisten und dem Interesse ihres Publikums früher und jetzt. Die Historiographie richtet sich an „großen Männern“ aus, sie trägt, bis heute, personellen Charakter. Das Mittelalter war die Zeit der Ritter, ihre Faszination lässt nicht nur den jungen Parzival auf die Knie sinken, die das Lichtschwert führenden Jedis der Star-Wars-Filme begeisterten auch uns in der Jugend. Der strahlende Held auf schnellem Pferd minnt um eine schöne Frau, bewährt sich in Turnier und Kampf, ist ritterlich, höflich in Ehre und Anstand – und ein Menschenschlag, der für viele, zu großem Bedauern, immer mehr verschwindet.

Die Epoche des Mittelalters schließt zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Das Ende der Ritter setzte schon früher ein, neue Waffen der Fußtruppen entstehen aus Arbeitsgeräten des Alltags und der Jagd: der Spieß, die Hellebarde, der Langbogen und die Armbrust. Im 14. Jahrhundert fällt die Überlegenheit der Reiterkrieger, die Fußtruppen kämpfen weniger um Beute als um Unabhängigkeit, politische Selbstbestimmung oder Teilhabe. Die Motivation ändert sich, auch der Krieg: Feuerwaffen, Landsknechte (bezahlte Profikämpfer) und Bogenschützen entscheiden jetzt über Sieg oder Niederlage. Aus der bäuerlichen Sense und dem Flegel werden Kriegssense- und -flegel. Der Spieß wird zum Zeichen des später belächelten Spießbürgers. Das Sterben, das Leid, die Verwüstung ziehen weiter mit dem kriegerischen Tross und, in seinem Gefolge, ganz handfest und real, schreitet, wie immer, der Tod – jetzt, rhetorisch einprägsam bis in heutige Tage: als Sensenmann.

CLAUSS, MARTIN: Ritter und Raufbolde. Vom Krieg im Mittelalter. Primus Verlag, Darmstadt 2009. 143 S., 16,90 Euro.

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