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„Travemünde allein ...“

Jürgen Knirsch: Schauplatz Travemünde. Wachholtz Verlag, Neumünster 2010. 176 S., 16,80 Euro.



„Travemünde allein ...“

Jürgen Knirsch begibt sich auf Spurensuche und folgt den Wegen von Eichendorff, Gogol und Munch, denen Travemünde Ort der Sehnsucht war, Wirkungsstätte und Quell der Inspiration.

Von Monika Thees, © Berliner Literaturkritik

„Travemünde allein mit seinen Herrlichkeiten war die Reise wert ...“, notierte Joseph von Eichendorff am 22. September 1805. Mit einer gemieteten Lohnkutsche hatte der damals 17-Jährige und sein zwei Jahre älterer Bruder Wilhelm das Fischer- und Hafenstädtchen an der Travemündung erreicht und blickte gebannt zur See, zum Horizont, zu den Wellen. Es wurde bereits Herbst, Regen, Sturm zogen auf, der Ältere mahnte zu raschem Aufbruch. Triefend durchnässt wurden Pferde und Kutscher auf dem Weg zurück in die Universitätsstadt Halle, das Schauerwetter hielt an, nur das Tagebuch des Freiherrn füllte sich vor Glück: „... und ewig wird der Anblick des Meeres meiner Seele vorschweben.“

Was reizte sie, die Eichendorffs, später Nikolai Gogol, Richard Wagner, Edvard Munch und andere, an „Lübecks schönster Tochter“, dem Ostsee-Heilbad Travemünde? Das Brausen der Wellen, die unendliche Weite des Himmels, die frische Seeluft, das heitere Flair? Einst lag das Fischerdorf abgelegen, wenn auch nicht ungeschützt vor den Toren der mächtigen Hansestadt (nur 20 Kilometer sind es von der Mündung der Trave ins Lübecker Zentrums). 1802 wurde Travemünde zum anerkannten Seebad ernannt, es entstanden Bade-, Logierhäuser und das Kurhaus hoch oben auf dem Wall. Hotels und Villen boten Quartier für Wohlbetuchte, die Ballsäle der Belle Epoque luden zu Vergnügung und Tanz. Seit 1822 lockte die Spielbank, die Versuchung des schnellen Glücks, Draufgänger, Diplomaten, leichtlebige Adlige mit Hang zum Mondänen, den ein oder anderen der schreibenden Zunft.

Der Architekt und Autor Jürgen Knirsch, seit fünf Jahren mit Wohnsitz an der Lübecker Bucht, hat sich auf Spurensuche begeben. In „Schauplatz Travemünde“ versammelt er Episoden aus drei Jahrhunderten. Er stöberte in Antiquariaten, Archiven, las sich durch Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, fühlte sich sensibel ein und schrieb. So könnte es gewesen am 13. Juli 1829, als ein exzentrischer junger Russe von Bord der „Alexandra“ ging: Er war auf der Flucht vor Verrissen, Verstrickungen im heimatlichen St. Petersburg, eine Wasser-Kur in Travemünde sollte Linderung bringen (sie half nicht!). Sieben Jahre später machte Nikolai Gogol erneut Station. Und als er abreiste, lagen erste Manuskriptseiten mit im Gepäck. „’Selifan! Auf geht’s!’ Die Pferde zogen kräftig an, und bald flog die leichte Kutsche dahin, uneinholbar ...“ Uneinholbar wie Gogols Meisterwerk, die „Toten Seelen“.

Jürgen Knirsch hat sich eingelesen in die historischen Quellen, seine Darstellung überzeugt durch Kenntnis und Einfühlung, durch ein Gespür für Farben, Worte und Musik. In der Verflechtung mit Originalzitaten entstehen Szenen - und eine neue Sicht auf Travemünde und seine Geschichte, die mehr bietet als den Aufstieg eines kleinen Fischerdorfes zum exquisiten Seeheilbad mit Spielbank und Segelregatta, der Viermastbark Passat vor Anker und Rötger Feldmann alias Brösel als in Travemünde gebürtigem Comiczeichner von Format. Der alte historische Leuchtturm, die St. Lorenzkirche und „weit am Horizont die Schiffe, die an Wolken schweben“ schrieben sich ein als Postkartenmotiv, und Thomas Mann notierte in den „Buddenbrooks“: „Sie lag da, die See, in Frieden und Morgenlicht, in flaschengrünen und blauen, glatten und gekrausten Streifen ...“

Für Clara Schumann war das Meer eine lyrische Romanze. Edvard Munch holte 1903 kurz Atem im Park seines Mäzens Dr. Linde, er wanderte hinaus in die Landschaft an der Travemündung, hielt inne auf einem Dünenhügel des Priwall. Und Ida Boy-Ed, die einstige, heute fast vergessene, 1928 in Travemünde gestorbene Bestsellerautorin, ließ sich verzaubern von Wind und Wellen, von den sanften Hügeln der Lübecker Bucht. Auch der umstrittene Emanuel Geibel, der wohl eifrigste und erfolgreichste Lyriker seiner Zeit (1815-1884), suchte und fand Inspiration am Travemünder Gestade. Bekannt ist bis heute sein Wanderlied „Der Mai ist gekommen“, einigen auch die Figur des Jean-Jacques Hoffstede in den „Buddenbrooks“, mit der Thomas Mann dem „Dichterfürsten“ im wallenden Plaid ein kaum schmeichelndes Denkmal setzte.

Stürme, Sturmfluten und Brände zogen über Travemünde hinweg, auch die Pest, die Cholera (letztmals 1848). Die Badekarren wichen den Standkörben (seit 1890), Europas höchstes Leuchtfeuer (115 m) blinkt seit 1974 auf dem Dach des Hotels Maritim, 2011 jährt sich zum Hundersten der Stapellauf der Passat. Und die Kunst? Die Maler, die Literaten, die Musiker? In zwei Kapiteln porträtiert Jürgen Knirsch bildende Künstler der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart, die Travemünde wählten als Wohn- und Wirkungsort. Er stellt Ulrich Hübner vor, Erich Dummer und Bernd Hönack, den Regisseur, Drehbuchautor und Maler mit Atelier in der großen Bootswerft der Marina Baltica. So manche Künstler zieht es an die Küste, an die raue See. „Hin zu einem großen Meere / Trieb mich seiner Wellen Spiel; / Vor mir liegt’s in weiter Leere, / Näher bin ich nicht am Ziel“, schrieb Friedrich Schiller einst. In Travemünde mit all seinen Herrlichkeiten scheint dieses Ziel eine Ahnung weniger fern.

Literaturangaben:

Jürgen Knirsch: Schauplatz Travemünde. Wachholtz Verlag, Neumünster 2010. 176 S., 16,80 Euro.

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