Textversion
Neue Artikel (gemischt)BuergerzeitungDirekte DemokratieEuropaDeutschlandKunst / KulturPresseMedienModulRedaktionArchiv

Redaktion:

P. M. Cabaço

Maren Schullenberg

Sylla

A.C. Kessler

Angelika von Stocki

Emanuel (Togo)

Helmut Lorscheid

Wittkowski

Cedric Wrieden

Monika Thees

Guenter Stanienda

Stefan Jalowy

Friedrichson Pressebild

Norbert Cosma

Eugen Möller-Vogt

Annette Czerny

Redaktion Repke

Achim Wolf (awo)

Mühlpfordt

Allgemein:

Neue Artikel (gemischt)

Kontakt / Redaktion

Skellettsicht

FAQ

Umfragen

Politik in Bildern

Impressum

Tödliches Spiel


Fee Sachse beschreibt in ihrem Debütroman „Wie der Hund, der eine Hyäne war“ eine Ménage à trois. Die Bochumer Theaterschauspielerin und Autorin schildert eine Dreierkonstellation, die geprägt ist durch Manipulation, Lüge und Abhängigkeit.

Von Monika Thees, © Die Berliner Literaturkritik

Sie heißt Mählein, kommt daher mit hängendem Hintern, mit dem typisch wackligen Hyänengang, wie man ihn aus dem Zoo kennt. Sie schlägt ihre Eckzähne in Caros schöne, weiche Lederjacke, die einmal viel Geld gekostet hat. Die Hündin strahlt, trotz ihrer Hässlichkeit, etwas Edles aus, sie gleicht Anubis, dem ägyptischen Totengott, nur dass dieser es nicht gewagt hätte, sich später in die Polsterung von Caros Auto zu verbeißen. „Mählein, gute alte, treue Hyäne! Du bist doch gestorben – schon vor vielen Jahren.“ Caro weiß nicht, wie das Tier in dieses Zimmer kommt, auch nicht, warum Ulla, Richard und Mona hinter der Glasscheibe erscheinen und, ohne Caroline wahrzunehmen, an ihrem Bett vorbeigehen – wie die drei anderen Gestalten, die plötzlich auftauchen und von denen jede an das Fußgelenk der anderen gefesselt ist. Caro ruft, klopft, hämmert gegen die Glasscheibe – doch niemand hört sie, keiner kann sie hören.

Die Patientin hatte einen Autounfall, ob es ein Suizidversuch war, weiß man nicht. Sie wurde aus ihrem Wagen weit hinunter zur Böschung geschleudert und, wie durch ein Wunder, von Passanten gefunden. Noch immer liegt sie regungslos im Koma, reagiert auf keine Ansprache. Dr. Westhoff kann nur die Infusion setzen und warten, die nächsten Tage abwarten, ob sich ihr Zustand bessert. Er hat einen Zettel gefunden vor ihrem Krankenbett, will ihn zurücklegen in ihre Reisetasche. Am Boden der Tasche findet er drei Briefe und einen Stapel Manuskripte in einer roten Mappe, er wird sich beides genauer ansehen, später nach Dienstschluss, zu Hause bei Inga, seiner Frau. Er wird in Caros Aufzeichnungen blättern und die Geschichte dreier Menschen lesen, die seit zwölf Jahren zusammenleben: Sie sitzen in einer Küche beim Frühstück: Richard Winzer, damals 38 Jahre, Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter, seine zwei Frauen und Franziska, die knapp zehnjährige Tochter von Richard und Caroline. Ja, und da gab es bis vor Kurzem noch diesen Hund, der an Altersschwäche gestorben ist, dieses Mählein, das eigentlich kein richtiger Hund war, sondern eine Hyäne.

Die Erinnerungen und Traumsequenzen der im Krankenhaus liegenden Caroline, die sich beharrlich weigert aufzuwachen, und ihre Texte in der roten Mappe, in denen Dr. Westhoff und später auch seine Ehefrau Inga lesen, schildern Facetten eines ungewöhnlichen Experiments, eines Versuchs, der unweigerlich fatal enden muss: Man könnte es Spiel nennen, was Inga, Caro und Richard zusammenschweißt, schließlich arbeiten sie am Theater, schlüpfen in Rollen und Kostüme, stülpen sich Masken über und den Habitus einer Bühnenfigur. Doch das Drehbuch dieser Dreierkonstellation ist real, es folgt einem perfiden Plan, dem letztlich (beinahe) tödlichen Skript eines egomanischen Regisseurs: Richard, der massige Spielleiter mit Halbglatze und Bart, setzt die Figuren auf dem Spielbrett, er dirigiert, kontrolliert ihre Bewegungen, betrieben vom krankhaften Wunsch nach Anerkennung und Unterwürfigkeit. Aber seine Regie setzt das Einverständnis der Spielfiguren voraus, das Arrangement funktioniert nur mit ihrer Bereitschaft, den Fäden der Manipulation zu folgen. Fee Sachse, die Bochumer Schauspielerin und Autorin, gelingt in ihrem Romanerstling „Wie der Hund, der eine Hyäne war“ die Inszenierung einer verhängnisvollen, zerstörerischen Ménage à trois.

Macht Liebe blind, oder die Aussicht auf Ruhm und Karriere an der Seite eines wie auch immer „begnadeten“ Künstlers? Fee Sachse entwickelt ihre Versuchsanordnung langsam in Rückblenden und erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie verwebt beängstigende Stationen einer sich stetig steigernden Dramatik und lässt ihre weiblichen Protagonisten zappeln im Netz einer fragwürdigen Stabilität, das sich immer fester um ihr Leben zurrt und sie aneinandergekettet: Die gemeinsame Arbeit am Theater, der Erfolg und die Gastspielreisen ins Ausland, Franziska, die leibliche Tochter von Richard und Caroline, das alles erfordert Zusammenhalt und Loyalität, doch die Quälerei, das Gegeneinander-Ausspielen und die emotionale Rücksichtslosigkeit Richards machen das Leben dieser „Familie“ zur Höllenfahrt. Er schluckt seine Rohypnol, unkontrolliert und um vieles mehr, als er sollte, verteilt die schnell abhängig machenden Tabletten an die willig schluckenden Frauen und verfolgt seinen Plan mit eiskalter Konsequenz.

Wer wagt den Ausbruch, wer spricht die Wahrheit aus? Und wer will sie überhaupt hören? Richard, dieses feiste Wrack im alten, grauen Feldmantel mit selbst erklärter Berufung zu Höherem, schmettert jegliche Kritik mit unverhohlenem Zynismus ab. Mona gelingt der Absprung, Ulla bringt die Dinge auf den Punkt und ins Rollen. Caroline muss es im Krankenhaus erleben, immer wieder erneut, da draußen vor der Glaswand: Richards langjährige Affäre mit Mona, dann den Flug nach Kalkutta, sein jämmerliches Flehen nach Schlaftabletten, seine „Krankheitsnummer“ mit urplötzlichen 40 Grad Fieber, sein verlogenes Spiel mit immer neuen, ergebenen Geliebten und altbekannter Erpressung. Und Inga, Richards erste Frau, jetzt Ärztin und mit Dr. Westhoff liiert, muss das Manuskript in der roten Mappe zu Ende lesen, immer wieder, damit die Gespenster von früher ein für alle Mal verschwinden und mit ihnen der lähmende Kreislauf von Lüge, (Ent-)Täuschung und Angst. Denn nur mit Angst konnte Richard sein Spiel spielen, mit der Angst vor den alles überwachenden Geistern und einem Wahngebilde aus vermeintlicher Genialität, subtiler Drohung und psychischem Druck.

Kann das alles wahr sein? Die Frage ist falsch gestellt. Fee Sachse, die gebürtige Dresdnerin, die derzeit am Schauspielhaus Bochum arbeitet und bereits Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht hat, gelingt mit ihrem Romanerstling ein beachtliches, fesselndes Psychogramm jenseits aller Klischees von Theaterbohème und Amour fou. Unter dem Deckmäntelchen der „Liebe“, „Freundschaft“ und „Partnerschaft“ werden so manche Spielchen gespielt. Psychische Abhängigkeit, Gewalt und das Ausspielen von Macht sind feine, äußerst wirksame Mechanismen, nicht nur im Leben der Sachse’schen Protagonisten, nicht nur in einer Dreierbeziehung. Wer näher hinsieht, erkennt die Regeln und wer sie setzt. Er merkt es am Detail, wenn man ihn sehen lässt: Vieles in familiärer oder intimer Beziehung und erst recht hinter der Fassade der Großartigkeit ist nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint – wie der Hund, der eigentlich eine Hyäne war. Der gleichnamige Roman von Fee Sachse schärft den Blick. Er ermöglicht das Aufwachen aus dumpfem Dämmerschlaf.

SACHSE, FEE: Wie der Hund, der eine Hyäne war. Dresdner Buchverlag. Dresden 2010. 224 S., 17,90 Euro.