Westerwelle: Demagogischer Diplomat

Vize-Guido – ein demagogischer Chef-Diplomat?

Der FDP-Chef präsentiert sich vor der Hauptstadtpresse als Macher und Mahner

Von Stefan Jalowy

26.02.2010, Berlin. Außenminister und Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP) hatte einen fabelhaften Morgen. Zuerst verlängerte der Bundestag mit satter Mehrheit das ISAF- Mandat der Bundeswehr in Afghanistan. Dann wartete im bis auf den letzten Platz besetzten Saal der Bundespresse- konferenz die versammelte Hauptstadtpresse auf ihn und er konnte sicher sein, dass das Auditorium an seinen Lippen hängen würde. Schließlich lieferten Westerwelle und die Liberalen in den zurückliegenden Wochen jede Menge Schlag- zeilen: schwarz-gelber Rumpelstart, unfinanzierbare Steuersenkungen zur Wachstums- beschleunigung und zuletzt des Vize-Kanzlers überraschende Äußerungen zum „anstrengungslosen Hartz IV-Wohlstand“. Mehr als genügend Stichworte für fragende Journalisten und einen die Welt, die aktuelle deutsche Regierungpolitik und insbesondere auch sich selbst erklärenden Guido Westerwelle.

Im Duden werden unter dem Stichwort „Rhetorik“ als mögliche Synonyme die Begriffe Beredsamkeit, Redegewalt, Redege- wandtheit, Redekunst, Rednergabe, Sprachgewalt, Sprachgewandtheit, Sprechkunst und Wortgewandtheit angeführt.

Den Volljuristen und Polit-Profi Guido Westerwelle darf man demnach mindestens als Rhetoriker bezeichnen. Denn was der FDP-Vize- Kanzler den nicht minder wort- und sprachbegabten Journalisten präsentierte, bediente sämtliche Register der Rhetorik. Ein sich sichtlich gut gelaunt gebender Westerwelle resümiert mit faktischer Sachlichkeit zu der nicht sonderlich ergebnisreichen Londoner Afghanistan-Konferenz: „...ist schon keine Kleinigkeit, dass man 70 Staaten auf eine gemeinsame Strategie vereinigen kann.“ Nein - er behauptet nicht, dass er in London der die Konferenz maßgeblich moderierende „Weltstaatsmann“ (Süddeutsche Zeitung) gewesen sei. Aber da er „die Gespräche geführt“ habe – suggeriert er seine globale Führungsrolle als Chef-Architekt des „Wiederaufbaus“ des geschundenen, zerbombten, zerrissenen Landes am Hindukusch. Und das obwohl sich Verteidigungsminister zu Guttenberg mit seinen vermutlich deutlich geschmeidigeren Fremdsprachenkenntnissen als eloquenterer Gesprächs- und Verhandlungspartner auf dem Konferenzparkett erwiesen haben dürfte. Ach so – da gab’s dann ja noch etwas zum Afghanistan-Thema, aus dem der hauptamtliche Chef-Diplomat und nebenamtliche FDP-Vorsteher innenpolitischen Nektar zu saugen versucht.

Westerwelle kommentiert den sogenannten Plakat-Eklat des Abstimmungs-Morgens. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte die gesamte „Linke“-Fraktion, deren Mitglieder Protest-Transparente mit den Namen der Opfer des ISAF- Bombenangriffs bei Kunduz vom 4.September 2009 im Parlament vorgezeigt hatte, des Plenarsaals verwiesen. „Ich hätte mir ja nie vorstellen können, dass ich mir eines Tages mal Gregor Gysi im Plenum gewünscht hätte“, kopfschüttelt Westerwelle mit dem Versuch einer schrägen Pointe. „Unter Gysi wär’ das nicht passiert, das hätten die sich nicht getraut.“ Ob Gregor Gysi, der sich derzeit auf Dienstreise in Lateinamerika befindet, seine Fraktion wohl tatsächlich zur Einhaltung der parlamentarischen Geschäftsordnung diszipliniert hätte – reine Spekulation. Und Spekulationen mag der Spitzenliberale an sich überhaupt nicht. Genauer – Spekulationen über sich mag er gar nicht.


Medien-Dirigent Guido Westerwelle (FDP) in einer Pressekonferenz am Freitag, 26.2.2010, in Berlin. (Foto: Copyright by Stefan Jalowy)

Kanzlerinnen-Ohrfeigen mit Grinsen


Und was ist in den vergangenen Wochen nicht alles über das Verhältnis zwischen Regierungs- chefin Angela Merkel (CDU) und ihrem Chef-Diplomaten und Chef-Stellvertreter Guido Westerwelle spekuliert worden. Massive Verstimmungen wurden geortet und seit die Bundeskanzlerin sich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ deutlich von Westerwelles Äußerungen zur Hartz IV-Realität distanzierte, hätte eigentlich niemand aus den Reihen der Koalitionspartner sich getraut den Klimawandel am Kabinettstisch mit weiträumiger Gestik als Medienhype abzukanzeln. Der sich immer wieder und immer noch juvenil-dynamisch darstellende Vize- Kanzler kanzelt aber Fragen nach der Kanzlerinnen-Ohrfeigen mit Grinsen und einer gehörigen Portion Chuzpe ab: „Wir simsen was das Zeug hält“, schwärmt er vor den staunenden Journalisten über das seiner Darstellung nach ungetrübt enge Verhältnis zu seiner Regierungschefin. Krisengipfel zwischen Merkel, CSU-Boß Horst Seehofer und dem Chef-Liberalen...? Ach wo, das Verhältnis sei „sehr gut“ und die Journalisten müssten ja von einem „Krisentreffen“ reden, damit sie ihre Story überhaupt in der Zeitung unterbringen könnten.

Und wie gut das Verhältnis zwischen den Koalitionspartner sei beweise ja die Tatsache, dass bis zum Tage kein einziges Detail des vertraulichen Sechsaugen-Gesprächs an die Öffent- lichkeit gelangt sei. Und an dieser Stelle freut sich Westerwelle diebisch, gibt sein breitestes „Guido-ist-der-Beste“-Schmunzeln. Doch als er Momente später gefragt wird, ob er nachvollziehen könne, dass ihm Rechtspopulismus oder Demagogie vorgeworfen werde... fällt für einige Augenblicke die Mimikfassade der rheinischen Frohnatur. So richtig souverän klingen seine Defensivargumente nicht. Westerwelle beruft sich auf die „schweigende Mehrheit“, beklagt die Unart des politischen Gegners ihn in die „rechte Ecke“ zu stellen weil die Mehrheit der Menschen hinter ihm stünde.

Das ist Rhetorik – aber keineswegs von brillantestem Schliff, sondern von erstaunlich grobem und phantasielosem Zuschnitt. Der Chef-Rhetoriker der Liberalen wäre gut beraten gewesen, sich der präzise formulierten Definition des Politik-Professors Martin Morlock zu erinnern: „Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“


Westerwelles eigensinnige Hartz IV-Moralpredigt

erfüllt diese Definition von Demagogie in bestürzend vielen Punkten. Doch das betrübt den sich ebenso tatenlos wie unermüdlich als Retter des Mittelstands propagierenden FDP-Chef offenbar nicht. Auch nicht, als er von einer Journalistin um das Verlesen seiner Artikels in der „Welt“ gebeten wird, in dem er die von ihm erkannte „Einladung des Volkes“ zu „anstrengungslosem Wohlstand“ als „spätrömische Dekadenz“ brandmarkte. Kess fordert Westerwelle die Fragerin auf, den Artikel doch selbst zu lesen. „Wenn Sie lesen und hören, was ich gesagt habe, dann kommen Sie zum Schluss, dass die Debatte angestoßen werden musste“, kontert Westerwelle kess das Gesuch der Fragerin und bietet ihr statt dessen einen Ausdruck des „Welt“-Artikels an. „Von mir aus schreibe ich Ihnen auch noch „In Liebe, Guido“ drauf“, ätzt der Chef-Lächler der aktuellen Bundesregierung.

Es ist das Glück des Vize-Kanzlers, dass keiner aus der Runde der Hauptstadtjournalisten ihm entgegen hält, dass diese Debatte schon seit Jahren immer wieder von Politikern mit offenbar zweifelhaften Absichten angezündet wurde. Oktober 2008 - Heinz Buschkowsky (SPD), Bürgermeister von Berlin-Neukölln: „Die Unterschicht versäuft die Kohle ihrer Kinder.“ Februar 2008 - Philipp Mißfelder (CDU), MdB: „Die Erhöhung der Hartz IV-Sätze ist ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie.“ Dezember 2006 – Kurt Beck (SPD), Ministerpräsident Rheinland-Pfalz: „Wenn sie sich waschen und rasieren haben sie in drei Wochen einen Job.“ Krawall-Rhetorik und eiskalte Demagogie zum Zweck schlagzeilen- sicherer Medien-Präsenz und der Auffettung magerer Umfrage- und Wahlergebnisse. In diesem Radius dürfen die wahren Motive der politischen Hartz IV-Trittbrettfahrer zumindest ernsthaft vermutet werden.

Der bislang im Rahmen der FDP-Wahlversprechen eher dezent agierende Chef-Mittelstands- wahrer Westerwelle hätte angesichts der aktuellen Umfrageverluste zu Lasten der FDP wie auch seiner Person durch seine Hartz IV-Polemik mit einer wenigstens kurzfristigen Imagepolitur wenigstens bei seiner Klientel kalkulieren können. Und einem wie dem auch vor der Bundespressekonferenz laufend schelmisch grinsenden Guido kann kaum jemand ernsthaft böse sein, nur weil Deutschlands Chef-Rhetoriker, Chef-Diplomat und Chef-Staats- mann auch einmal die nach den Aschermittwochs-Reden schal gewordenen Bierkrüge auf den Mittelstands-Stammtischen ein wenig aufschäumen wollte. „Endlich wird wieder über die geredet, die den Karren ziehen“, stellt Angela Merkels Problempartner fest. Dass Westerwelle damit jene knapp 1,4 Millionen Arbeitnehmer meint, die trotz sozialversicherungs- pflichtiger Arbeitsverhältnisse ihren Lebensunterhalt nur mit einer „Aufstockung“ aus Hartz IV-Mitteln bestreiten können, wäre allerdings eine höchst gewagte Spekulation.


Chef-Erklärer Guido Westerwelle (FDP) (Foto: Copyright by Stefan Jalowy)

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