Den Künstlern wird der Hahn abgedreht
Gläubigerbanken des Hausbesitzers sperren den Künstlern im „Tacheles“ ab morgen das Wasser ab – Künstler protestierten mit kreativem Zauber und Demo-Zug zum „Adlon“ gegen Investoren-Zocker
Berlin (28.06.2010) – Die weißen Feen sprangen grazil über Bürgersteige, rankten sich an Haltestellenpfosten empor und Samba-Rasseln begleiteten die kleine Schar an Künstlern und Sympathisanten auf dem heißen Asphalt von Berlins Mitte. Ziel der Künstler-Demo: das noble „Hotel Adlon“, prominentestes Objekt im Immobilien- Portfolio der „Fundus“-Gruppe von Anno Jagdfeld. Nicht minder prominent das in- ternational renommierte und unter Künstlern weltweit geliebte „Kunsthaus Tacheles“ in der Oranienburger Straße. Doch während das „Adlon“ ein renditeträchtiges Objekt mit hohen Gewinnmargen darstellt haben sich die Pläne der „Fundus“-Investoren mit dem „Tacheles“ bislang nicht umsetzen lassen. Das Konzept, das ehemalige Kaufhaus in eine Premium-Immobilie mit Luxus-Appartement und Lofts, Edel-Lokalen und hochklassigen Boutiquen und Galerien umzuwandeln, hat nicht funktioniert. Nicht zuletzt auch in Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise rutschte die „Fundus“- Gruppe vor Monaten in eine finanzielle Schieflage, die Gläubigerbanken stellten einige Objekte unter Zwangsverwaltung, darunter auch das „Tacheles“.
Auf Geheiß der „Nordbank“ (Länderbank des Stadtstaats Hamburg und Schleswig- Holsteins) soll nun die Verwertung des „Tacheles“-Gebäudes sowie des attraktiven Grundstücks zwischen Friedrichstraße und Oranienburger betrieben werden. Mit Mieterparteien jedoch dürfte bei der angestrebten Versteigerung nur ein Bruchteil des vor Jahren spekulierten Buchwertes zu erzielen sein. Also scheinen sich nun die von den Banken beauftragten Verwalter zu klassischen Entmieter- und Verwerter- methoden entschieden zu haben. Konkret wurde der Versorgungsvertrag zwischen den Berliner Wasserbetrieben und dem „Tacheles“ gekündigt. Ab 1. Juli bleiben Wasserhähne und WC-Spülungen trocken – katastrophale hygienische Verhältnisse drohen.
Gegen die Wildwest-Methoden sowohl der „Fundus“-Gruppe als auch der öffent- lich-rechtlichen Banken und deren Vollstrecker richtete sich die Demonstration von Künstlern und Kunst-Sympathisanten. Nicht mit Brachialparolen, vielmehr mit Kunst-Performances und Tanz-Einlagen von Ballettkünstlern warben die Demons- tranten um Aufmerksamkeit und Unterstützung für den Erhalt des für die Hauptstadt Berlin so wichtigen Kunst- und Kulturzentrums. 80.000 Unterschriften wurden von Martin Reiter, Vorstand des „Tacheles“-Trägervereins, den Eigentümern übergeben. Hauptforderung der Künstler: wandelt das „Tacheles“ in eine Stiftung unter Beteili- gung auch des Landes Berlin um. Immerhin sollte das Interesse der Hauptstadt am „Tacheles“ als Sehenswürdigkeit für jährlich mehr als 100.000 Touristen Motivation genug sein, für das Weiterbestehen der kulturellen Avantgarde-Instanz den Geld- beutel ein Stück weit zu öffnen. Auch wenn ein wirtschaftlich tragbares Geschäfts- modell für ein Haus wie das „Tacheles“ nur schwer zu realisieren ist…Kunst sollte in keinem Fall den Zwängen des Kommerz geopfert werden. (Von Stefan Jalowy)
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