Afghanistans Bodenschaetze erschliessen

Quo vadis, Rohstoff-Paradies Afghanistan?


Geraten NATO und Bundeswehr der wahren Strategie von US-Regierung und neuen afghanischen Allianzen in die Quere?

Eine Hypothese von Stefan Jalowy

06.10.2010 (Berlin) – Der Regierungs-Airbus „Hans Grade“ hatte kaum von der Startbahn des Flughafens Tegel abgehoben als der „Breaking News“-Flash von Reuters auf Newsdesk-Monitoren in aller Welt aufblitzte: „Belagertes deutsches ISAF-Camp Kunduz von Taliban freigegeben!“ Die Handys der Hauptstadt-Korrespondenten schrillten im Stakkato – zu spät für eine Stellungnahme von Außenminister zu Guttenberg. Unmittelbar nach dem Presse-Briefing auf dem Vorfeld hatte sich der in den Umfragen tief ins Minus abgestürzte einstige CSU-Starminister an Bord des Luftwaffen-Fliegers begeben. An seiner Seite der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) und Außenamts-Staatssekretär Werner Hoyer (FDP). Noch im Steigflug kurvte der Bundeswehrjet mit den Spitzenpolitikern und ihrem ranghohen Tross an Beratern, Referenten und Mitarbeitern Richtung Osten. Mit Kurs auf Kabul, Afghanistan. Dort wollen die deutschen Minister und der Staatssekretär als Vertreter der Bundesrepublik an der feierlichen Zeremonie im Präsidenten-Palast teilnehmen, während der Hillary Clinton, Präsident Hamid Karzai und Taliban-Führer Mullah Omar das Friedens- und Kooperationsabkommen unterzeichnen wollen.

In dessen Rahmen wollen sich die Taliban und mit ihnen die gegen die ISAF-Truppen kämpfenden Aufständischen zur Einstellung aller Gefechtshandlungen gegen die „ausländischen Truppen“ verpflichten. Auch die Beendigung des knapp viermonatigen „Kessel von Kunduz“ ist Bestandteil des Friedensvertrages. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte in einer ersten Reaktion „Erleichterung über das Ende eines der tragischsten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte“. Zugleich betonte die Kanzlerin, dass „die Opfer und der Mut deutscher Soldatinnen und Soldaten im Kampf um Menschlichkeit und Demokratie nicht vergebens“ gewesen seien.
Das überraschend vorgezogene Ende der Belagerung des deutschen Bundeswehr-Camps wird von deutschen wie europäischen Beobachtern als Zeichen guten Willens der Taliban gedeutet, die sich dadurch eine künftige deutsche Unterstützung Afghanistans in Form von Entwicklungshilfe und Wiederaufbau-Krediten erhoffen. Auf dem Berliner Alexanderplatz feierten etwa Zehntausend Demonstranten die Nachricht vom Ende der Kunduz-Tragödie mit minutenlangem Beifall. Das Pop-Duo „Rosenstolz“ intonierte spontan die legendäre Anti-Kriegs-Hymne „Sag mir wo die Blumen sind“ – getragen von einem tausendstimmigen Chor. Zusammen mit zahlreichen prominenten Künstlern aus der Musik- und Schauspieler-Szene hatten „Rosenstolz“ seit Beginn der rund um die Uhr andauernden Friedensproteste und Mahnwachen vor gut drei Monaten immer wieder die in Zelten und Schlafsäcken auf dem „Alex“ ausharrenden Demonstranten mit kostenlosen Konzerten unterhalten.

Das deutsche Camp Kunduz war drei Tage nach Beginn der Sommer-Offensive der Taliban und mit ihnen verbündeter Aufständischer am 14. Juni nach blutigen Kämpfen vollständig eingekesselt und seither belagert worden. Die afghanischen Kämpfer hatten dabei rücksichtlos Tausende Zivilisten als „menschliche Schutzschilder“ missbraucht und dabei den Tod von mindestens 150 unbewaffneten Geiseln in Kauf genommen. Trotz gezielter Luftunterstützung der ISAF-Verbündeten waren mehrere Ausbruchsversuche gescheitert. In den vergangenen dreieinhalb Monaten starben 174 Bundeswehrsoldaten bei den Kämpfen um Camp Kunduz. Mehr als 400 deutsche Soldatinnen und Soldaten waren teils schwer verwundet worden. Erhebliche Verluste hatten auch die ISAF-Truppen hinnehmen müssen, die von den offenbar hervorragend organisierten Taliban und den Einheiten der Aufständischen immer wieder mit Hinterhalten und Flankengefechten am Durchbruch nach Kunduz gehindert worden waren: 117 Soldaten der Allianz starben, rund 500 ihrer Kameraden wurden verwundet. Nachdem die im Raum Kunduz stationierte 3. Brigade des 209. Korps der Afghanischen Nationalarmee (ANA) geschlossen zu den Taliban übergelaufen war, hatten die ISAF-Kräfte sämtliche Befreiungsversuche ihrer deutschen Verbündeten eingestellt. In riskanten und verlustreichen Luftoperationen sind die Belagerten mit Munition, Lebensmitteln und frischen Reserven versorgt worden. Bei den meist nächtlichen Einsätzen hatten Taliban, Aufständische und die abtrünnigen ANA-Einheiten sechs Hubschrauber und zwei Transportflugzeuge abgeschossen. Erst durch die Vermittlungsbemühungen des saudi-arabischen Königs Abdullah Al Saud und des Vorsitzenden der Organisation der Islamischen Konferenz, des Türken Ekmeleddin Ihsanoglu, war am 1. September ein Waffenstillstand in Kraft getreten.


Deutschlands Regierung 2010 muss sich Fragen zum Afghanistaneinsatz stellen. Deutschland ist im Kriegseinsatz mit einer Strategie, die Soldaten mit Kinderschaufelchen auszuruesten und das unter schaerfster Kontrolle. (Foto: Copyright by Angelika von Stocki)

Der Pakt zwischen der Kabuler Regierung und den islamistischen Taliban war von der US-Chefdiplomatin nach Angaben des amerikanischen State Departments in der Rekordzeit von nur zwei Wochen in mehreren geheimen Treffen ausgehandelt worden. Der Vertrag regelt unter anderem die Beteiligung der Taliban an der 2009 neugewählten Kabuler Regierung in Form von Ministerämtern sowie einer großen Zahl von Gouverneursposten. Nach der Unterzeichnung des Abkommens soll ab morgen die große „Loja Dschirga“, die Versammlung von Delegierten aller afghanischen Stämme und einflussreichen Clans, die Ernennung des Taliban-Chefs Mullah Omar zum Vize-Präsidenten und damit zum stellvertretenden Regierungschef der Islamischen Republik Afghanistan beschließen. Der „Pakt der nationalen Einigung und Aussöhnung“ genannte Friedensvertrag soll damit besiegelt werden. In den 45 Staaten der ISAF-Allianz hatte die überraschende Kehrtwende im Befriedungsprozess für offenen Unmut gesorgt, weil die US-Regierung ihre Verbündeten bis vor drei Tagen nicht über die umfassenden Verhandlungen informiert hatte. Im Zusammen-hang mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages sollen zudem mehrere Verträge über die Erschließung und Ausbeutung von Bodenschätzen wie Kupfer, Erdgas sowie Edelsteinen stehen, die zwischen der neuen afghanischen Regierung und mehreren US-amerikanischen Konzernen ausgehandelt wurden. Die Kontrakte mit Laufzeiten von bis zu 50 Jahren sollen im Anschluss an die offizielle Zeremonie im Präsidentenpalast unterzeichnet werden.“


Taliban-Chef Mullah Omar (Bidlquelle: heise.de)

Keine Angst - dieser Text ist eine Fiktion. Doch er skizziert e i n e mögliche Entwicklung im Rahmen einer Hypothese, die auf der Analyse der möglichen Strategien sowohl der Obama-Administration, der NATO wie vor allem der afghanischen Regierung unter Hamid Karzai beruht. Was auf den ersten Blick wie ein Worst-Case-Szenario wirkt, könnte dennoch e i n Szenario sein, das westliche und eventuell vor allem amerikanische Strategen in ihren Planungen „durchspielen“. Am vergangenen Osterwochenende hat Afghanistans Präsident Hamid Karzai vor der Versammlung von einigen Hundert Clan-Chefs und Stammesfürsten der südlichen Provinz Kandahar über die Möglichkeit eines Beitritts zu den Taliban gesprochen. („Wenn ihr und die internationale Gemeinschaft mich noch mehr unter Druck setzt, dann, das schwöre ich euch, werde ich mich den Taliban anschließen.“, Quelle: „New York Times“) Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die islamischen Fundamentalisten in den vergangenen zwölf Monaten in zahlreichen bislang eher ruhigen Landesteilen enorm an Unterstützung und damit an faktischem Herrschaftseinfluss gewonnen haben. Insbesondere die offene Ankündigung seines Widerstands gegen die geplante Offensive der US-Truppen in der Provinz Kandahar könnte auf eine Entwicklung in Afghanistan hindeuten, die so vom Westen nicht erwartet worden ist. Aber es ist höchst erstaunlich, dass der Präsident eines Landes, das zu beinahe 100 Prozent von der wirtschaftlichen Unterstützung durch Länder der ISAF-Allianz angewiesen ist und der selbst seine eigene Führungsrolle in Afghanistan vor allem den westlichen Staaten verdankt, sich so offen gegen seine Mentoren und Förderer wendet. So erstaunlich, dass es nicht wundern würde, wenn Karzai eine solche Äußerung nicht ganz ohne vorheriges Abnicken der in Sachen Afghanistan derzeit wohl einflussreichsten Nation getan hätte – der Vereinigten Staaten.

Immerhin hat es in den Jahren nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan 1989 und dem sich anschließenden Bürgerkrieg intensive Kontakte zwischen amerikanischen und saudi-arabischen Öl-Multis zu den ersten Taliban-Einheiten gegeben. Angeblich hätten der US-Ölkonzern „Unocal“ gemeinsam mit der saudischen „Delta Oil“ in der Anfangszeit der Taliban sogar deren erste Kommandeure „eingekauft“. Ziel soll gewesen sein, das für den Bau einer zentralasiatischen Erdöl- und Gaspipeline strategisch zentrale Afghanistan zu stabilisieren. So wird auch spekuliert, dass der pakistanische Geheimdienst ISI gemeinsam mit der CIA die Taliban in den Anfangsjahren unterstützt habe. Immerhin wären diese Annahmen plausibel, denn den Taliban gelang es tatsächlich ab Mitte der 90er-Jahre das in blutigen Stammeskriegen verwüstete Land unter Kontrolle zu bekommen. Wenngleich mit drakonischen Mitteln und unter einer extrem strengen Auslegung der Scharia, der islamischen Gesetzesordnung. Doch Chris Taggart, der Vice President von „Unocal“, fand 1996/97 den Vormarsch des Ordnungsfaktors Taliban „sehr positiv“. Er lud sogar eine Taliban-Delegation in die Vereinigten Staaten ein und eröffnete an der Universität von Nebraska ein Ausbildungszentrum für künftige afghanische Pipeline-Ingenieure. Natürlich geschah das alles mindestens mit Billigung durch das US-Außenministerium. Denn selbst nachdem die Taliban in Folge der beiden verheerenden Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi August 1998 verdächtigt wurden, aktiv den saudi-arabischen Milliardärssohn Ussama Bin-Laden unterstützt zu haben, unterhielten die Vereinigten Staaten intensive diplomatische Kontakte zu den islamistischen Fundamentalisten, die zeitweise mehr als 90% Afghanistans als Regierungsmacht kontrollierten. So hielt der stellvertretende Außenminister der Taliban, Abdur Rahmin Zahid, noch im Jahr 2000 einen Vortrag im Washingtoner Middle East Institute. Die Motive für die relativ engen Kontakte zwischen der Washingtoner Clinton-Regierung und den „Koranschülern“ sahen internationale politische Beobachter vor allem im Interesse Washingtons und US-amerikanischer Energiekonzerne an dem nach wie vor projektierten Bau der Erdöl- und Erdgas-Pipeline. Und im angestrebten Zugriff auf die erheblichen Bodenschätze Afghanistans.

Auf rund 88 Milliarden US-Dollar schätzten Geologen der „United States Geological Survey“ (USGS) vor geraumer Zeit allein den Wert der in Afghanistan georteten rund elf Millionen Tonnen Kupfer. Hinzu kommen weitere teils äußerst ergiebige Vorkommen an Eisen, Zink, Blei, Gold, Silber, Salz und Kohle. Von den 112 chemischen Grundelementen finden sich nicht weniger als zwei Drittel in ergiebigeren Vorkommen im afghanischen Boden. Wollen die USA ihren Konzernen und damit ihrer Volkswirtschaft die lukrativen Zugänge zu diesen natürlichen Ressourcen sichern, dann benötigen sie möglichst rasch eine politisch stabile und vertragstreue Regierung in Kabul. Denn während die USA und ihre NATO-Verbündeten mit der unendlichen Geschichte der Jagd auf Bin Laden und der „Befriedung“ des Landes beschäftigt waren – landete ein chinesischer Konzern fast unbemerkt einen spektakulären Coup. Die Chinesen schlossen mit der Kabuler Regierung einen 30-Jahrevertrag, der ihnen die Erschließung und den Abbau der gigantischen Kupfervorkommen östlich der Hauptstadt sicherte. Für die Amerikaner ein herber Schlag. Nicht nur, dass Staatspräsident Karzai einst als Berater für das Pipeline-Projekt auf der Gehaltsliste von „Unocal“ stand – die USA drohen im globalpolitischen Wettlauf mit dem unvermindert expandierenden chinesischen Wirtschaftsriesen um die Sicherung weltweiter Energie- und Rohstoff-Zugänge ins Hintertreffen zu geraten. Was also läge näher als die seit dem Abzug der Russen handlungsfähigste Ordnungsmacht Afghanistans – und diesen Status scheinen die Taliban seit etwa einem Jahr allmählich erneut zu erlangen – quasi durch die Hintertür wieder in Kabul auf Regierungssessel zu hieven. Dass Präsident Karzai dabei möglicherweise eine (von wem auch immer) gut gebriefte Schlüsselrolle einnehmen könnte – scheint nach dessen Äußerungen vom Osterwochenende nicht völlig ausgeschlossen.


Kupfervorkommen nördlich von Kabul


Sowohl die Taliban, deren verbündete Stammes-Fürsten und Clan-Chefs als auch Hamid Karzai wissen sehr genau, wie mürbe die Stimmung in den Bevölkerungen der meisten ISAF-Staaten im neunten Kriegsjahr ist. Wer wäre nicht erleichtert, wenn der „Alptraum Afghanistan“ nicht baldmöglichst zu einem das Land stabilisierenden Ende kommen würde. Und auch für die Vereinigten Staaten gibt es politisch in Afghanistan wohl doch nur ein Ziel zu erreichen: den Einfluss und den umfassenden Zugriff auf die Rohstoffe des Landes und die Realisierung des Milliarden-Geschäfts um die Pipeline zum Indischen Ozean. Die Jagd auf Bin Laden und die nach Einschätzung von Viktor Ivanov, einem engen Vertrauten von Russlands Regierungschef Putin, „weniger als 100 noch in Afghanistan verbliebenen Al Quaida-Kämpfer“ dürfte eine nachgeordnete Priorität in der Afghanistan-Strategie von US- Präsident Barrack Obama haben. Auch wenn ein Großteil der US-Bevölkerung nach wie vor hinter dem Einsatz der amerikanischen Truppen am Hindukusch steht, weil dort „Rache für 9/11“ zu üben ist. Würde sich hingegen die militärische Situation in Afghanistan auf Kosten amerikanischer NATO-Verbündeter drastisch verschlechtern, so könnte Obama seine Klientel daheim auf die einen überstürzten Abzug aus dem Land fordernde Stimmung in den anderen Staaten des nordatlantischen Bündnisses verweisen. Um nachhaltige Spannungen innerhalb der NATO zu verhindern, könnte Obama sich als „Opfer“ der kriegsmüden Europäer inszenieren und auf „die Rache für 9/11“ - zumindest in Afghanistan - verzichten. Aktuell stehen im Frühjahr 2010 die ISAF-Stützpunkte der Bundeswehr unter zunehmenden Druck – sei es durch Verbände der Taliban oder durch die mit ihnen verbündeten lokalen Warlords. Die in Afghanistan eingesetzten Bundeswehreinheiten sollen nach der Erkenntnis des noch amtierenden Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe (CDU), unter einer „nicht im Einsatzalltag angekommenen“ Bürokratie sowie unter „langwierigen und komplizierten Entscheidungswegen“ leiden.

Nach dem Tod von drei Fallschirmjägern der Luftlandebrigade 31 am Karfreitag und nachdem immer mehr Details über das von der deutschen Patrouille mit knapper Not überstandene Gefecht bei Kunduz veröffentlicht werden offenbart sich ein ganzes Bündel an Versäumnissen und Defiziten, unter denen die Bundeswehr am Hindukusch zu leiden hat. Das Verteidigungsministeriums gestand in Folge einen Mangel an Ausbildungs-Fahrzeugen in den deutschen Heimatstandorten ein. Das Fehlen ausreichender Lufttransport-mittel wie moderner Transporthubschrauber und von gerade in asymmetrischen Gefechtslagen gegen bewaffnete Aufständische unverzichtbaren Kampfhubschraubern wird kaum ernsthaft bestritten. Die Bundeswehr scheint in ihren Einsatzregionen in Afghanistan nur bedingt gefechtsbereit – auch wenn die militärische Führung der deutschen Armee dies in den letzten Tagen vehement bestritt. Vor diesem Hintergrund erscheint das in dem fiktiven Text am Beginn dieses Artikels beschriebene Szenario einer Belagerung des deutschen ISAF-Camps in Kunduz zwar dramatisch gezeichnet – aber nicht unbedingt als auszuschließendes Horror-Szenario.

Welche Mittel stünden dem Kommandeur im „Provincial Recovery Team - PRT“-Camp Kunduz zur Verfügung, wenn Frauen, Kinder, Alte vor den Gewehrläufen schwer bewaffneter Aufständischer oder Taliban-Kämpfer zum Tor des Bundeswehr-Camps getrieben würden. Wenn aus der Deckung von menschlichen Schutzschildern heraus das Feuer auf die eingreifenden Bundeswehrsoldaten eröffnet würde. Würde ein Belagerungswall aus Zivilisten nicht jeden militärischen Widerstand im Rahmen der bestehenden ISAF-Einsatzregeln unterbinden? Was würde geschehen, wenn dann noch Einheiten der „Afghanischen Nationalarmee“ (ANA) in nennenswerter Stärke, in Verbandsrahmen zu den Aufständischen überliefen? Wenn sie die zum Entsatz des deutschen Camps anmarschierenden ISAF-Verbänden auf den wenigen passierbaren Marschwegen nach Kunduz blutige, verlustreiche Gefechte und Hinterhalte lieferten? Wenn ISAF-Truppen aus politischem Kalkül nicht ein-greifen dürfen, weil die Anwendung aller militärischen Mittel wie massiver Luftangriffe in Kombination mit mechanisierten Infanterieangriffen gegen die abtrünnigen ANA-Einheiten und die dabei zu erwartenden Opfer auf afghanischer Seite zu einem landesweiten Aufstand gegen die ISAF-Truppen führen könnte? Was wäre, wenn „man“ zu der Überzeugung käme, lieber einige Dutzend Soldatenleben auf Seiten des politisch schwächsten ISAF-Verbündeten zu opfern. Sogar eine Belagerung zuzulassen. Und damit eine Dramaturgie aufzubauen, an deren Finale Furioso ein weltweites Aufatmen nach dem Zustandekommen einer Afghanistan befriedenden Lösung unter Einbeziehung der „gemäßigten Taliban“ die logische Folge wäre? Amerika könnte als klug und pragmatisch sanktionierender wie moderierender Welt-Polizist dastehen – und im Wettlauf mit den Chinesen um den Abbau der afghanischen Rohstoffe die Nase vorne behalten. Zudem würden sich die Vereinigten Staaten vermutlich eine solide militärische Präsenz entlang der afghanisch-iranischen Grenze gewährleisten lassen.

Schließlich hätten die sunnitischen Afghanen wohl nur wenig Grund, ihre schiitischen „Lieblings-Nachbarn“ vor amerikanischen Stützpunkten im Grenzgebiet zu bewahren. Russland würde vermutlich in geeigneter Weise als Erschließungspartner partizipieren wollen – und können. Immerhin haben sowjetische Geologen und Ingenieure während der neun Jahre dauernden Besatzungszeit umfangreiche Erkundungen und Analysen der bedeutendsten Vorkommen afghanischer Bodenschätze vorgenommen und dokumentiert. Der islamistische Brandherd im Nordwesten des Atomstaats Pakistan wäre bei einer Regierungsbeteiligung der Taliban vermutlich rasch gelöscht. Und die Afghanen selbst...stehen traditionell lieber auf der Seite des Stärkeren, des sowohl militärischen, politischen und wirtschaftlichen Gewinners. Und da eine Koalition aus Karzai-Regierung, Taliban und den nach wie vor mächtigen Stammesfürsten des afghanischen Nordostens alle wesentlichen Bevölkerungsgruppen an dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beteiligen würde...könnten sich viele Parteien ein fettes Stück aus dem Kuchen schneiden. Dem Kuchen bestehend aus Erdöl, Erdgas, Kupfer, verziert mit Edelmetallen und Edelsteinen. Überzuckert mit Heroin aus den dann wieder unbehelligt blühenden Mohnfeldern Afghanistans.

Eine zynische Überlegung, wohl wahr. Doch aus der weltweiten Geschichte der Kriege, Konflikte und Allianzen nach 1945 ist immer wieder zu lernen, dass Macht- und Weltpolitik im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert deutlich mehr mit Zynismus denn mit Humanität und dem Ziel einer friedlich und gerecht miteinander kooperierenden Weltgesellschaft zu erklären ist.


Bundeswehr PRT-Camp Kunduz

Link-Tipps


Ganz aktuell – Der SPIEGEL über Karzais neue Freunde:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,687764,00.html

Karzai und seine Angebote an Taliban und Aufständische:
http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~E1360F82D78F6492B9C33A648C31823DC~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Über afghanisches Erdöl, Geheimdienste und die Strategien am Hindukusch:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Terrorismus/usa-taliban.html

Die Wurzeln der Taliban:
http://www.rootcauses.de/texts/baratali.htm

Afghanistan, the Taleban and the Bush Oil Team:
http://www.globalresearch.ca/articles/MAD201A.html

Diskussion zum Them aim attac-Forum (mit interessanten Verweisen):
http://forum.attac.de/viewtopic.php?f=48&t=7447

Der SPIEGEL berichtete schon 2002:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,213648,00.html

China holt sich Abbaurechte für afghanisches Kupfer:
http://www.lowyinterpreter.org/post/2010/03/31/Afghanistan-China-offers-copper-ation.aspx

http://www.nytimes.com/2009/12/30/world/asia/30mine.html

http://afghanistan.cr.usgs.gov/projects.php


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