Wort und Tat. Das Wintermärchen

Das Winter-Märchen

Von Günter Stanienda

Die ganze Stadt ist still geworden.
Der Lärm kann nicht mehr überborden:
Die Blätter liegen matt im Schnee,
am Hermsdorfer Waldrand ein scheues Reh,
flatternde Fenster-Freude in buntem Gefieder,
zart-weiße Flocken schweben hernieder.

Die Antennen der Äste vibrieren leicht –
ist es der Wind, oder hat sie eine Nachricht erreicht?
Ja! Ein Kindlein ist erschienen,
es soll, so heißt es, der Menschheit dienen.

Doch, wer sich über das Kleinod beugt
und es allzu direkt „beäugt“,
bekommt von dem Kind eine schallende Schelle!
Drum: Abstand halten, mindestens eine Elle!
Respekt! Dass man nicht aneckt!

Mit Hilfe von Psychomuskel- Masseusen,
die Verhaltungskrämpfe lösen,
gelang es, die Armkraft des Kindes umzuleiten
und die Brust nebst Atem zu weiten.

Es sprach von nun enorm starke Laute
und pustete so, dass es jeden umhaute!
Dies sollte künftig seine Wunderwaffe sein.
Wenn das Wunderkind was wollte, sagte niemand „nein“.

Als erstes „ordnete“ es an, den Schnee zu verehren,
statt ihn mit Schaufeln und Besen zu kehren
Denn in den Flocken, die von oben kamen,
steckten Milliarden von DNA und Samen!

Deshalb solle man bei Schneefall die Arme ausbreiten,
„um die kosmische Kraft ins Ich zu leiten!“
Man möge versuchen, die Luftgedanken zu erkennen,
man könne diese „gestaltlose Geheimnisse“ nennen!

Bald versammelte sich ums „Baby“ eine Kinderschar,
die wusste: Wenn man nicht brav war,
herumhampelt oder unziemlich laut hustet,
wird man vom orkanartigen Odem des Kindes umgepustet.

Aber man konnte ihm Fragen freiweg stellen,
solche, die verschlüsselte Theologie etwas erhellen.
Zum Beispiel: „Warum wird so viel altes Zeugs gepredigt?“
Die Evangelien hätten sich doch längst erledigt.

„He! Du Heide!“, sagte das Baby streng, -2-
gleich gibt’s was, peng!
Religion braucht Tradition!
Das ist wie Vater und Sohn.

Alter Glaube braucht Perspektive,
das ist wie Eisenbahn und Lokomotive!
Alles muss allerdings modernisiert werden;
Wir reisen nicht mehr auf Pferden!

Reue-Computer, Gebets-Internet von A bis Z! Wort und Tat vergleichen,
eigenes Handeln am Computer abgleichen:
Welches Gebot hat man übertreten?
Ach ja, man vergaß schon wieder das Beten! -

Gebete speichern oder versenden,
also das Innere nach außen wenden.
Warum nicht auch per Internet Beichte!
Weil doch die Zeit dafür oft nicht reichte.

Und: Glaubensgedanken mit anderen tauschen!
Das Gottgeheimnis elektronisch erlauschen!“
Man war sich einig: Gott ist nicht bärtig,
sondern ringsum gegenwärtig.

ER hat nicht Augen, nicht Ohren,
sondern rings um sich Sensoren.
ER ist das Wahre Internet,
bei Arbeit, Reisen oder im Ehebett!

Strahlen sind nicht sichtbar, wie der Heilige Geist.
Die Gläubigen, aus dem Fernen und Nahen Osten,
die uns zwar Hartz IV und oft Nerven kosten,
lehren uns aber die vergessene Spiritualität!

Das Bombastische Baby war hierfür ein Symbol!
Es wusste, es gibt nicht nur einen Minus-Pol!
Nicht bloß mit Spielen oder iPot ablenken,
sondern, klingt kitschig, selbständig denken!

Das Wundersame sehen lernen,
droben von den glitzernden Sternen.
Und nicht traurig sein, wenn der Schneemann zerrinnt,
weil mit Tauen und Tau ein Neues beginnt!
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Von Günter Stanienda, Berlin, 22.3.2011


 

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