Wenn Frauen Maden mögen

Maden-Mark erforscht das Leben von den Leichen

Von Lydia Repke


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Kriminalbiologe Mark Benecke in der Urania 

Berlin. Pfeffi-Salbe hilft nicht gegen Leichengeruch. Eine Federstahlpinzette sollte man immer dabei haben, um getrocknete Insektenflügel problemlos anfassen zu können. Tatorte muss man ohne Blitz fotografieren und Gynäkologen wussten schon früher, dass sie besser auf Schlips bei der Arbeit verzichteten. Diese und andere Tipps vermag nur Einer in schnellem rheinischen Dialekt zu vermitteln: Doktor Mark Benecke, der „bekannteste Kriminalbiologe der Welt“. Der Wahl-Kölner hielt am Mittwoch, dem 14. Mai, um 20 Uhr einen packenden Infotainment-Vortrag auf der Urania Bühne, An der Urania 17.


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Mit kurz rasierten Haaren, Ring im linken Ohr, Schnauzer, markanter Brille, tätowierten Armen, schwarzer Kleidung und einer Unmenge an Karabinerhaken am Gürtel stand er da und stellte das Mikrofon feststeckend um 20.05 Uhr klar: „Guten Tag. Ich bin der Benecke – weil ich gefragt wurde, ob ich der Techniker bin.“ Von dem stolzen Eintrittspreis, der ursprünglich 27 € und später 24 € betrug, distanzierte sich der Forensiker. Er habe damit nichts zu tun, er bekomme dieselbe Gage wie sonst auch. Maden-Mark, wie der Naturwissenschaftler auch genannt wird, suchte den offenen Dialog mit dem Publikum: „Sie können reinquatschen. Melden Sie sich nicht, das sehe ich nicht.“ Nur das Fotografieren war während des Vortrags nicht erlaubt. Aber wer will schon währenddessen seine Digitalkamera zücken, wenn er in der Pause, vor und nach der Veranstaltung die Gelegenheit dazu hat, dem „Herrn der Maden“ persönlich zu begegnen und ein Foto mit ihm machen zu können? Der 37-Jährige signierte fleißig Bücher, Eintrittskarten und CDs – möglich, dass auch das eine oder andere Dekolleté dabei war. Die lange Schlange autogrammwütiger Frauen,  ähnlich der Schlange der etwas jüngeren Groupies bei Pop-Konzerten, erstreckte sich von der linken Seite der Bühne bis zur Hälfte des riesigen Saals.


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Mittels seines Laptops und eines Beamers wurden Bilder an die große Leinwand der Urania Bühne projektiert, die Benecke teils mit Witz kommentierte, teils mit ernsten wissenschaftlichen Beiträgen bestückte. Im ersten Teil des Abends brachte „Inspektor Tod“ seinen Zuhörern die kriminalistische Sicht näher, indem er beim Darlegen seines Anfahrtswegs von Köln nach Berlin auf verschiedene Spurengruppen aufmerksam machte und auf Zeichen des Alltagslebens hinwies: „Die Spur ist da, man muss sie nur entziffern.“ Dabei deutete er auf ein Bild mit Graffiti. Das eine Graffito auf dem Foto war ohne weiteres zu lesen, das andere ließ sich nur schwer entschlüsseln. „Ich frage mich nur: Ist das da oder ist das nicht da?“ Nur weil man das an die Wand Gesprayte von weitem nicht erkennt, heißt das noch lange nicht, dass es auch nicht da ist. Dies zu erkennen ist die Aufgabe des Molekularbiologen. Der gebürtige Rosenheimer ist Spurenkundler – nicht mehr und nicht weniger. Ein Problem bei der Arbeit seien kulturelle Vorannahmen. Soziale und pädagogische Informationen spielten für Benecke dabei keine Rolle. So kann man beispielsweise als Freak bezeichnet werden, wenn man in ein Massagestudio mit dem Vorwand geht eine normale Massage haben zu wollen und andersherum falsch liegen, wenn man den Besitzern eines mit „Traditionelle Thai-Massage“ betitelten Ladens unterstellt, sie würden junge Frauen aus dem Osten für Erotik-Massagen einfliegen lassen.



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Im zweiten Teil stellte der auf Blutspritzer, Spermaflecken, Fliegen und Maden spezialisierte Mark Benecke die Bodyfarm vor, welche sich im US-amerikanischen Tennessee befindet. Dort haben FBI-Agenten (Federal Bureau of Investigation) unter anderem die Möglichkeit zusammen mit Zahn-, Knochen- sowie Menschenkundlern, dem „bekanntesten Kriminalbiologen der Welt“ und weiteren Experten vierzig auf einem Freigelände liegende Leichen zu finden und zu lernen, worauf sie beim Ausgraben achten müssen. Es werden dabei keine akademischen Schulstunden gegeben und die FBI-Leute müssen sich ebenfalls keine langweiligen Vorträge zu den unterschiedlichen Arten von Zahnkrankheiten und Verfärbungen anhören. Vielmehr geht es darum den Kriminalagenten beizubringen, was sie auf dem Feld brauchen. Sieb, Fähnchen, Eimer, Planen und Leinen gehören zu den typischen Werkzeugen, aber auch Gläser und Alkohol sind wichtige Bestandteile der Utensilien. Bei Spuren unter der Erde sollte man auf keinen Fall einen Spaten nehmen, sondern das Grab per Hand und mit einer handelsüblichen Müllschippe ausheben.


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Die Bodyfarm ist deshalb so wichtig für die Ausbildung, weil sie den jungen Agenten und den Wissenschaftlern die Voraussetzungen dafür bietet, herauszufinden, wie sich Leichen in Abhängigkeit von Umweltbedingungen verändern. „FBI-Agenten sind relativ jung, weil sie den Job nur 25 Jahre lang machen können. Danach sind sie ausgebrannt“, streute Kriminalbiologe Benecke ein. Um nach dem Tod auf der Bodyfarm zu landen, müsse man wirklich Forschungsgegenstand der Wissenschaft sein wollen. Mit dem Geld der Lebensversicherung müssten die Bodyfarm-Interessenten den Transport ihres toten Körpers zur Bodyfarm gewährleisten. Im Gegenzug könnten sie sich aussuchen, wie ihre Leiche gelagert werde: mit dem Kopf in Richtung Sonne, unter der Erde vergraben, im Wasser oder in einem Sack. Auf dem Bodyfarm-Gelände laufen die Spezialagenten in Schutzanzügen umher, welche mit Klebeband an den offenen Stellen, wie an Ärmel- und Hosenbeinenden, zugeklebt werden. Mit einem Stift wird jedem der Name auf den Rücken geschrieben. Da ist nichts mit coolem Outfit wie in manch einer Krimiserie, etwa bei CSI (Crime Scene Investigation). Wenn schon die Arbeitskleidung nicht sonderlich abwechslungsreich ist, dann sorgen wenigstens die Trainer manchmal für Aufmunterung. Sie verstecken kleine Zettel mit Witzen für die Lehrlinge im Mund oder in Strapsen der Leichen: „Für die ist das ätzend, auch wenn sie sich freiwillig gemeldet haben.“ Maden-Mark wies darauf hin, dass die FBI-Leute von den Wissenschaftlern dächten, sie hätten eine Schraube locker und dass die Agenten sie nicht cool fänden. Im Labor der Bodyfarm, welches sich in einem Zehntel der ehemaligen Umkleiden eines Football-Stadions befindet, steht pro Leiche eine Kiste herum: „Da ist kein Glamour, da ist alles trashig. Nichts mit lila Gläsern und blauen Blasen, die da blubbern.“


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Nach der 20-minütigen Pause stellte der bayerisch-kölnische Forensiker seine kostenlose Internetseite vor: „Alles umsonst im Sinne von gratis: keine Pop-Ups, keine Werbung, keine Trailer.“ Danach durfte das Publikum per Fingerzeig darüber abstimmen, welches der acht zur Verfügung stehenden Themen er referieren sollte – so zumindest der Plan. „Welches Thema möchten Sie, wenn Sie nur eine Stimme haben und nicht den Nachbarn kitzeln?“ Vier Mutige meldeten sich beim Thema Aliens und bekamen anerkennend dafür Feuchttücher mit Zitronenaroma vom Spurenkundler Benecke geschenkt. Nachdem immer wieder Zurufe von den Zuhörern kamen, welche Themen er zuvor in Berlin gehalten hatte und dass sie was anderes hören wollten, wurde zum ersten Mal in der Gesichte undemokratisch entschieden. Der vortragende Naturwissenschaftler zeigte Bilder von Insekten auf Leichen und stellte drei echte Kriminalfälle vor. Als Grundregel gab er dem Auditorium mit auf den Weg, dass die Fragen „Was bedeutet das?“ und „Gibt es Gut und Böse?“ keine Rolle spielten. Als es um ein verstorbenes zweijähriges Kind ging, stellte er das Publikum sensibel darauf ein und gab jedem die Gelegenheit, die Augen zuzumachen und nur zuzuhören.


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Am Ende fasste Mark Benecke den Beruf des Kriminalbiologen für alle Filmtauglichen noch einmal zusammen: „Wir sind nicht Jodie Foster, wir sind nicht die mit der Knarre, nicht die mit dem Hubschrauber... Wir sind die im Naturkundemuseum.“ Weiter auf den Film „Das Schweigen der Lämmer“ Bezug nehmend: „Wir sind die Jungs, die mit den Kakerlaken Schach spielen.“ Also auf gut Deutsch: die Dicken mit der Glatze, den Sandalen und den karierten Hemden ohne Führerschein. Sowohl dick als auch karierte Hemden treffen nicht auf den Mann mit den Maden zu, dennoch beteuerte er, dass er jene Sorte von Kind gewesen sei, welche nie Fußball gespielt habe, immer drinnen gewesen sei sowie Klingeln und Alarmsysteme gebaut habe. Die Art von Kind, welche die Eltern freiwillig zum Sport gefahren hatten. Eins gab er allen noch mit auf den Weg: „Der Tod ist nicht das Ende. Nach dem Leben geht es weiter – entweder kommen die Kriminalbiologen oder die Schmeißfliegen.“ Den Frauen war es wohl egal, was wann kommen sollte. Hauptsache Mark Benecke komme wieder. Denn wenn Frauen Maden mögen, kann sich nur Einer dahinter verbergen.


Texte/Fotos: Lydia Repke (lyd), 25.06.2008


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