Abschied von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm

Regierungssprecher Wilhelm sagte Tschuess

Wilhelm lud zur Verabschiedung in die BPK (Fotos: Copyright by Angelika von Stocki)


Berlin, 28.7.2010. Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz und ZDF-Journalist Werner Goessling bat den Vorsitzenden des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland Pascal Thibaut auf das Podium. Ausschnitte aus der letzten Regierungspressekonferenz (oeffentliche Mitschrift) mit Ulrich Wilhelm:

Werner Goessling: Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war also die letzte Pressekonferenz mit Ulrich Wilhelm als Regierungssprecher. Vier Jahre und neun Monate haben Sie für Angela Merkel und ihre beiden Koalitionen gesprochen. Ein Zeitraum, in dem Konrad Adenauer bereits seinen fünften Pressechef hatte, wie es damals noch hieß, und in dem bei Helmut Kohl schon sein dritter Regierungssprecher amtierte. Vier Jahre und neun Monate sind überdurchschnittlich. In der Amtsdauerrangliste der bisherigen 24 Sprecher liegen Sie auf Platz vier hinter Herrn von Eckardt mit acht Jahren, Herrn Bölling mit sieben Jahren und Karl-Günther von Hase, der als Einziger von 1962 bis 1967 drei Kanzlern gedient hat ‑ Adenauer, Erhard und Kiesinger ‑, und der bisher als Einziger ‑ jedenfalls bis vor ein paar Monaten ‑ um seine Entlassung bat, weil er Intendant werden wollte; zuerst damals bei der Deutschen Welle, später dann folgten fünf Jahre als ZDF-Intendant.

Natürlich hätten wir uns als Korrespondenten gewünscht, noch mehr Informationen aus der Regierungsarbeit, mehr Details aus dem Nähkästchen zu bekommen und hier und da vielleicht auch ein bisschen Selbstkritik zu hören. Der schon erwähnte Karl-Günther von Hase hat vor der Bundespressekonferenz einmal das aktuelle Klima im Kabinett so beschrieben: "Die Stimmung der Truppe ist ausgezeichnet und übertrifft ihre Leistung bei Weitem."

(Heiterkeit)

Solche flotten Sätze waren nicht Ihre Sache. In Erinnerung bleiben wird sicher, wie Sie auch auf die provozierendsten Fragen hier immer freundlich und sachlich geantwortet haben. Dem Klima hier im Saal hat das sicher genützt. Auch daran soll Sie dieses Foto erinnern, dass Sie nämlich 328 Mal hier auf diesem Stuhl gesessen haben. Mit 328 Regierungspressekonferenzen haben Sie Ihren Vorgänger Béla Anda knapp übertroffen. Er ist auf 325 gekommen, und dabei waren sogar seine Stellvertreterzeiten eingerechnet.

Weil wir aber wissen, dass wir mit einem solchen Bild bei Weitem nicht an Ihr Lieblingsfoto mit Ihrem "Double" Robert Redford heranreichen können, haben wir uns noch ein kleines weiteres Andenken an Ihre Zeit besorgt, und zwar dieses Fernrohr. Dieses Fernrohr ist so alt wie die Tradition deutscher Parlamentsjournalisten, Pressekonferenzen selbst zu organisieren und zu leiten, also knapp 100 Jahre. Trotzdem schafft es einen so klaren Durchblick wie damals vor einem Jahrhundert. Manches und manchen kann man sich damit genauer ansehen. Auf dem Wasser kann es ebenso hilfreich sein wie in den Bergen. Für Ausflüge dahin sollen Sie ja jetzt mehr Zeit haben als bisher. Und Nordlichter kann man damit auch beobachten. Vorsichtig sein müssen Sie damit nur im Funkhaus, damit es mit dem Datenschutz und dem Personalrat keine Probleme gibt.

Natürlich hätten wir uns als Korrespondenten gewünscht, noch mehr Informationen aus der Regierungsarbeit, mehr Details aus dem Nähkästchen zu bekommen und hier und da vielleicht auch ein bisschen Selbstkritik zu hören. Der schon erwähnte Karl-Günther von Hase hat vor der Bundespressekonferenz einmal das aktuelle Klima im Kabinett so beschrieben: "Die Stimmung der Truppe ist ausgezeichnet und übertrifft ihre Leistung bei Weitem."

(Heiterkeit)


Werner Goessling ist der Vorsitzende der Bundespressekonferenz und ZDF-Journalist. Hier fotografiert bei seiner Abschiedsrede zur 328. Regierungspressekonferenz von Ulrich Wilhelm (CSU). (Foto: Copyright by Angelika von Stocki)

Pascal Thibaut: Ich habe im Gegensatz zu Ihnen, Herr Gößling, keine Rede vorbereitet. Ich möchte mich hier an dieser Stelle im Namen des Vereins der Ausländischen Presse mit seinen 400 Mitgliedern, die tagein, tagaus über Deutschland und über die regelmäßigen Komplexitäten berichten, für die gute Zusammenarbeit im Laufe der letzten fünf Jahre bedanken ‑ sei es für die Unterstützung der Kollegen der Akkreditierung oder des Verbindungsbüros im Bundespresseamt, aber auch für die Gespräche mit Ihnen und mit unseren Mitgliedern bzw. für die Gespräche, die wir regelmäßig mit der Bundeskanzlerin im Bundeskanzleramt geführt haben.

Es ist wichtig, zu betonen, dass unsere Kollegen ‑ das haben Sie vorhin bei einer der letzten Frage gemerkt ‑ hier Zugang haben. Das hier ist eine wichtige Einrichtung, die nicht nur für die deutsche Presse einmalig ist, sondern auch weil die Mitglieder unseres Vereins Zugang haben, was auch den Zugang zu den Regierungssprechern ermöglicht. Wenn man als Auslandskorrespondent arbeitet, der, wie die meisten von uns, ein Einzelkämpfer ist, dann ist es natürlich eine große Unterstützung, wenn man auch im Gegensatz zu den Parlamentskorrespondenten hier nicht nur über die reine Innenpolitik und das parlamentarische Geschehen berichtet, sondern über alle möglichen Themen, die in diesem Land passieren. Deswegen ist die Präsenz hier in diesem Saal für uns wichtig.

Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, Herr Wilhelm. Ich habe ein Präsent vorbereitet. In unserem Verein sind 60 Nationen vertreten. Wir haben nicht die Spezialitäten aus 60 Ländern zusammengetragen. Dafür hätten Sie einen Lkw der ARD nach München organisieren müssen. Wir haben zumindest von den sieben Ländern, die in unserem Vorstand vertreten sind ‑ zum Beispiel Frankreich, Schweiz, Russland, Niederlande, USA ‑, verschiedene Präsente zusammengestellt, die alle zu verzehren sind. Ich hoffe, dass Sie dabei Spaß haben werden. ‑ Herzlichen Dank!

(Beifall)


Pascal Thibaut mit Wilhelm (Foto: Copyright by Angelika von Stocki)

Staatsekretaer und Regierungssprecher a.D. Ulrich Wilhelm: Sehr geehrter, lieber Herr Gößling, sehr geehrter, lieber Herr Thibaut, ich bedanke mich sehr herzlich für die freundlichen Worte, die mich auch persönlich berühren.

Die Geschenke sind sehr passend. Ich kann sie sehr gut gebrauchen. Vielen Dank! Ich müsste wahrscheinlich jetzt für die Fotografen ein Motiv schaffen, das mich dann den Rest meiner Tage begleitet, indem ich in dieses Fernrohr schaue. Ich ringe noch mit mir, ob ich das tun soll.

(Heiterkeit)

Der Bundeskanzlerin würde ich in diesem Fall raten: "Tun Sie es nicht!" Immer dann, wenn die entsprechende Situation kommt, würde es dann heißen: Weitblick gesucht ‑ oder dergleichen mehr. Ein solches Fernrohr hat auch in der Geschichtswissenschaft immer wieder Analogien ausgelöst, dass man es nämlich dann, wenn man Dinge als Zeitgenosse erlebt, wie mir das in den letzten knapp fünf Jahren vergönnt war, ein solches Fernrohr umdrehen müsste, um die Dinge in eine größere Distanz zu rücken und vielleicht besser erkennen zu können, was das eigentliche Geschehen ist. Vielleicht ist es auch unter diesem Aspekt für die Gedanken, die ich mir nachlaufend noch machen muss, ein sehr passendes Geschenk. ‑ Vielen Dank dafür!

Die Jahre sind nach meiner Erinnerung wie im Flug und unglaublich schnell vergangen, wenn ich allein zum Beispiel Revue passieren lasse, welche Großereignisse in der Zeit stattgefunden haben. So ist es einer Bundesregierung sehr selten vergönnt ‑ oder auch aufgesetzt ‑, dass sie gleichzeitig eine EU- und G8-Präsidentschaft zu organisieren hat. Bei uns war das im Jahr 2007 der Fall. Man ist auch selten Ausrichter eines NATO-Gipfels. Bei uns traf auch das zu. Natürlich gibt es Gott sei Dank selten epochale Wirtschafts- und Finanzkrisen. Auch das hatten wir zu gewärtigen und mussten wir am Ende lösen bzw. zumindest damit umgehen. Die ersten G20-Gipfel in der Geschichte der Diplomatie auf Chefebene mussten wir absolvieren. Es gab zahllose bilaterale Treffen, die immer mit den Briefings einhergingen. Das war eine sehr gute Übung. Ich danke auch, dass es immer möglich war, das im Raum der Bundespressekonferenz stattfinden zu lassen. Das hat mich kolossal entlastet, denn der Umgang mit der Technik ist meine Sache nicht. Das gleichzeitige Verfolgen der Inhalte und Einschalten der passenden Mikrofone hätte mich überfordert. Ich glaube, auch für die BPK war es eine ganz gute Übung, dass das hier stattfinden konnte.

Ich möchte noch einmal an meine allererste Pressekonferenz erinnern, die ich mit einem sehr eigenmächtigen Schritt vorzeitig beendet hatte. Ich glaube, mit der Bemerkung: "Ich muss jetzt zum Flughafen" stand ich einfach auf und musste weg, weil mir vom Rand bedeutet worden war, dass die Kanzlerin jetzt nicht länger würde warten können und wollen. Herr Gößling war so nett, mir dann freundlich-diplomatisch zu sagen, dass ich hier nur Gast bin und mein gesamtes Verhalten insofern der Einschränkung unterliegt, die ein Gast immer zu berücksichtigen hat, dass er sich nach den Regeln des Hauses richtet und die Frage des Endes einer Pressekonferenz immer nur vom Vorsitzenden bestimmt wird. Ich habe das nie mehr wiederholt und bedanke mich rückblickend für das Verständnis meiner Not. Aber am ersten oder zweiten Arbeitstag macht man noch nicht alles richtig.

Ich möchte Ihnen allen sehr herzlich für viele gute Gespräche und für das Vertrauen danken, das mir eigentlich von Anfang an entgegengebracht wurde; zunächst als Vorschuss und hoffentlich da und dort auch in späteren Zeiten auf der Grundlage des wohlerworbenen. Viele der Gespräche werde ich in guter und auch fester, bleibender Erinnerung behalten. Mir hat immer sehr imponiert, dass Sie viele Fragen ‑ ob das zum Thema Afghanistan war, das wir gerade noch einmal behandelt haben, zur wirtschaftlichen Lage, zur Frage der Bildung, der Integration, oder zur Frage, welches Land wir in Europa, welcher Partner Europas und welcher Nachbar unserer benachbarte Staaten wir sein sollten ‑ sehr bewegen. Man konnte immer spüren, dass man eigentlich gemeinsam an der Sache orientiert in unterschiedlicher Verantwortung überlegt, auch in unterschiedlichen Rollen, die überhaupt nicht verwässert werden können und sollen, aber dass man dennoch als Bürger dieses Landes ein übergeordnetes Interesse hat, dass dieses Land auch eine gute Entwicklung nimmt.

Ich habe auch bei vielen von Ihnen gespürt, dass nicht ein kritisches Urteil zu fürchten ist oder es Staat und Demokratie schadet, sondern allenfalls ein oberflächliches Urteil. Viele von Ihnen haben mich natürlich auch bis in den letzten Winkel mit immer neuen Nachfragen und immer neuen Rechercheanliegen verfolgt. Ich halte das für gut, auch wenn es zum Teil für einen selbst am Wochenende oder im Urlaub beschwerlich ist. Aber der dahinter stehende Impetus, den Dingen auf den Grund zu gehen, sich auch ein Urteil hart zu erarbeiten und nicht einfach nur das mitzumachen, was vielleicht andere geschrieben oder publiziert haben, sondern auch darum zu ringen, was der richtige Weg ist, ist, glaube ich, eine Stärke des Journalismus in Deutschland. Da ist mir auch nicht bange um die Zukunft, wenngleich bestimmte technische Entwicklungen natürlich das in einen schwierigeren Rahmen stellen ‑ Stichwort Schnelligkeit, Kurzlebigkeit durch das Internet.

Ich möchte sehr herzlich der Bundeskanzlerin danken, die heute nicht hier ist, die allerdings in der Früh schon angerufen hat und mir für eine sehr gute, sehr enge Zusammenarbeit gedankt und für meine neue Aufgabe viel Glück gewünscht hat. Die Zusammenarbeit war menschlich hervorragend. Aber auch in der Sache hat sie mir immer Zugang ermöglicht. In Ihrem Interesse konnte ich eigentlich bei den meisten Terminen selbst mit dabei sein, mir ein Bild machen und Ihnen das in den Grenzen, die einem gesteckt sind, auch zugänglich machen.

Ich möchte meinen Stellvertretern Thomas Steg, Herrn Steegmans und Frau Heimbach für eine hervorragende Zusammenarbeit danken. Frau Heimbach ist heute hier. Herr Steegmans hat Urlaub. Thomas Steg kann heute auch nicht da sein.

Ich möchte den CvDs danken, auch den Sprecher-Kollegen, die zum Teil hier sind, die mir zum Teil aus dem Urlaub beste Grüße übermittelt haben.

Dank auch an die unzähligen Unterstützer und Helfer im Presseamt und im Kanzleramt, ohne die man hier gar nicht auskunftsfähig wäre. Ich möchte vorneweg die CvDs nennen, aber natürlich auch die Abteilungs- und Referatsleiter im Bundeskanzleramt und BPA, die Montag, Mittwoch und Freitag in der Früh schon mitgedacht hatten und natürlich wussten, dass ein Auftritt hier ansteht, die sich vorbereitet hatten, mit denen man immer sehr schnell definieren konnte, welche Themen zu erwarten sind und die auch keine Mühe gescheut haben, noch fünf Minuten vor Beginn der Bundespressekonferenz die entsprechenden Papiere zu schicken.

Was den Stellenwert der Bundespressekonferenz anbelangt, werde ich nur ein Epigone von Herrn Albig bleiben, der heute da ist, was mich sehr freut. Herr Albig hatte bei seinem Abschied gesagt, dass die BPK von einem "herausragenden Wert" ist, dass er auch mitunter "fürchtet, dass das nicht allen Mitgliedern an jedem Tag so bewusst ist." Ich kann das aus meiner Sicht nur so bestätigen. Gehen Sie pfleglich und fürsorglich mit diesem stolzen Erbe um. Viele der Kollegen in anderen Hauptstädten waren immer sehr ungläubig, dass wir unsere Pressekonferenzen nicht selbst veranstalten, sondern dass es eine solche Jahrzehnte alte Einrichtung gibt, die mit großem Selbstbewusstsein ausgestattet ist. Aber dem entspricht eine Glaubwürdigkeit der Veranstaltung an sich. Das ist mit Sicherheit dann auch kein Schaden für eine Regierung.

Das wären eigentlich meine gesammelten Gedanken. Ich freue mich, wenn möglichst viele von Ihnen jetzt noch zum Empfang bleiben können. Weil nur hier und nicht draußen ein Mikrofon ist, möchte ich an dieser Stelle schon sagen: Das Buffet ist eröffnet. ‑ Dankeschön!

(lang anhaltender Beifall)

Der BPK-Vorsitzende Goessling: Herzlichen Dank, Herr Wilhelm! Damit ist Ihre 328. Regierungspressekonferenz geschlossen.
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(Die ganzen (oeffentlichen) Reden lesen Sie hier: http://www.bundesregierung.de/nn_1516/Content/DE/ Mitschrift/Pressekonferenzen/ 2010/07/2010-07-28-regpk-breg.html)



Ulrich Wilhelm, Staatsekretaer und Regierungssprecher a.D. mit Werner Goessling, dem BPK-Vorsitzenden. (Foto: Copyright by Angelika von Stocki)

Alle Fotos: Copyright by Angelika von Stocki

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Berlin, 28.7.2010.
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Andere Stimmen zum Thema:

http://www.tagesspiegel.de/politik/merkels-regierungssprecher- ulrich-wilhelm-tritt-ab/1892906.html

http://www.bild.de/ BILD/news/standards/berlin-intern/2010/07/29/thema-ulrich-wilhelm.html

http://www.welt.de/die-welt/politik/article8702595/Regierungssprecher-nimmt-Abschied.html

http://www.fr-online.de/politik/sein-letztes-mal/-/1472596/4513948/-/index.html

http://www.br-online.de/aktuell/ulrich-wilhelm-regierungssprecher-ID1280307553295.xml

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2573654_0_9223_-der-vertraute-der-kanzlerin-geht.html

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1582505/Abschied-aus-Berlin-im-Umfragetief-der-CDU.html

http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1020888
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