Sind sich Journalisten und Politiker zu nah?

Politiker-Verachtung & Journalisten-Bashing


Demokratiekultur zwischen Politiker-Verachtung und Journalisten-Bashing


Berlin, 16./20.11.2010. Nicht aus dem Zeitgeist gefallen. Das Vertrauen in die Leistungs- und Problemloesungsfaehigkeit von Politikern schwindet, hiess es zu Beginn einer Diskussionsrunde in der Landesvertretung Rheinland Pfalz in Berlin.

Auch der Ruf der Journalisten werde bei Buergern und Politikern zunehmend schlechter, sagte der Moderator, Autor und Journalist Thomas Leif, Vorsitzender von Netzwerk Recherche (netzwerkrecherche). Kritiker werfen den Medienmachern vor, die Aktualitaetsspirale immer schneller zu drehen, und die Journalisten verhielten sich ahnungs- und haltungslos. Im Verhaeltnis zwischen Journalisten und Politikern schwingt naturgemaess ein Machtbewusstsein mit. Thomas Leif fragte provozierend in die Runde, wie viel Macht der einen Seite beeinflusst die andere Seite? Wie viel Macht erhaelt der Informierte und ab wann ist jemand korrumpiert oder selbst korrupt? Wie viel Macho braucht der Journalismus?


„Ein Macho, das ist ein Missverhaeltnis zwischen weich und hart“, sagte Bernd Ulrich, Leiter des Hauptstadtbueros der Wochenzeitung Die Zeit, der vor zwanzig Jahren zwei Jahre lang im Buero der heutigen Bundesvorsitzenden der CDU und Kanzlerin Angela Merkel arbeitete. Ulrich kritisierte weniger die Naehe der Journalisten zu den Politikern beziehungsweise zu den Regierenden, ueber die man dann schreibt, sondern mehr, wie die Journalisten miteinander umgehen, die „leben so in einer halben WG“. Da werden einzelne Bueros, verschiedene Ressorts, andere Redaktionen zusammengelegt, da schreiben einzelne Redakteure fuer mehrere Blaetter eines Medienkonzerns oder fast identische Artikel fuer verschiedene Unternehmen und da heiratet man sich auch gegenseitig. Fuer Bernd Ulrich gilt: „Wo das Wohnzimmer beginnt, hoert der Journalismus auf“.

„Ich habe ja keine Macht“ (Gesine Loetzsch, Die Linke)

Gesine Loetzsch, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke sagte, „mit der Naehe kann es ja nicht so weit her sein“, schliesslich waren scheinbar Regierungspolitiker, Opposition, Experten und Medienleute ueberrascht gewesen von der Bankenkrise und ihre Folgen seit 2008. Da sind die Informationen nicht so geflossen, dass Politiker oder Journalisten daraus Kapital schlagen konnten.

Ganz im Gegenteil, die Journalisten offenbarten grosse Informations- und Wissenluecken auch Monate nach dem oeffentlichen Crash. Eine gewisse Korruptionsfaehigkeit koenne hinter der Informationsweitergabe stehen, wenn Macht im Spiel ist, vermutete Loetzsch: „Ich habe ja keine Macht“. Aufgefallen sei ihr aber frueher, dass sich die Journalisten anders verhalten gegenueber Oppositionspolitikern und Regierenden. Nach der Wahl 2005 wurde Angela Merkel, bis dahin in der Opposition so wie sie, nicht nur von den Kollegen, sondern auch von Journalisten anders behandelt.

Man habe als Opposition „wenig geheime Informationen weiter zu leiten“, sagte Gesine Loetzsch in der prall gefuellten Landesvertretung Rheinland Pfalz am Dienstagabend, 16.11.2010. Die Partei Die Linke sei sowieso eine „unteranalysierte Partei“, sagte Thomas Leif. Die Bundestagsabgeordnete Loetsch kritisierte Journalisten, die in einem wechselhaften Gewerbe taetig seien. Nicht immer sei verstaendlich, warum, welche Themen die Journalisten von welcher Partei interessieren. So hat sich die Partei Die Linke von Anfang an mit den negativen Seiten des Themas Hartz IV befasst, fuer viele Interviews zu Hartz IV werden aber die Gruenen befragt und gar die SPD. Unabhaengig, ob die Reporter von den oeffentlich-rechtlichen oder privaten Medien kommen, das Interesse an der Partei Die Linke sei fuer die erreichte Fraktionsstaerke im Bundestag ziemlich schwach und die Fragen oft unsachlich. Oskar Lafontaine soll in einer Talk-Runde eingeladen gewesen sein und wurde von der Moderation vor laufenden Kameras gefragt, was er denn in einer Talk-Sendung mache.

Diese Kritik nahm Bettina Schausten, seit 2010 Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin, auf. Sie wolle zukuenftig mehr darauf achten, gleichmaessiger ueber die Parteien zu berichten und gucken, ob sie die Partei Die Linke als Stimme bei der bundespolitischen Berichterstattung mitberuecksichtige. Schausten wolle die uebergeordnete Warte „im Blick behalten“ trotz der raeumlichen Naehe zu Politikern und Journalisten im Bundesregierungsviertel. Vom "Hochschreiben" bestimmter Ereignisse, wie zu Wahlkampfzeiten 2009 bei der FDP wollte Schausten nichts gemerkt haben und auch Bernd Ulrich sieht keine Kampagnen.


Harald Christ, Schattenwirtschaftsminister der SPD im Wahlkampf 2009 (DS-Artikel), heute Schatzmeister in der Bundesgeschaeftsstelle der SPD, hat die Erfahrung gemacht, Oeffentlichkeit ist das eine, Privates das andere. Privat blocke er gegenueber Journalisten ab, auch korrigiere er gerne sofort Aussagen von Journalisten, die ihn in ein schlechtes Licht ruecken koennten, zum Beispiel, wenn Thomas Leif ihn als Multimillionaer den Gaesten des Abends vorstellte. „Geld sagt nichts ueber den Charakter aus“, sagte der Unternehmer, aber er wollte Leif nicht gleich zu Beginn in die Parade fahren.

Auch bei Grossereignissen lassen sich Medien von Interessengruppen und Informanten für eine bestimmt Sichtweise der Ereignisse einspannen oder gar instrumentalisieren. Journalisten sehen sich zunehmend in der Rolle politischer Akteure, die mit Schlagzeilen und Kampagnen Themen steuern wollen, griff Thomas Leif das Diskussionspapier wieder auf: Die Bundespraesidentenwahl habe gezeigt, viele Medien schrieben Joachim Gauck hoch, hielten ihn fuer den besseren Kandidaten. Vehement forderten die Kommentatoren, den Fraktionszwang für die Mitglieder der Bundesversammlung aufzuheben. Als Christian Wulff dann erst im dritten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit gewaehlt wurde, werteten die Kommentatoren darin keinen Gewinn für die Demokratie, sondern eine Durchsetzungsschwaeche der Kanzlerin. Veraendern solche Trends das Verhaeltnis zwischen Medien und Politik?

Der SPD-Schatzmeister Harald Christ sagte, der Medienhype liege im Moment bei den Gruenen, bei der FDP sei er wieder vorbei. „Es waere ein ganzes Bild, bringen die mal mehr Farbe hinein“ bei der Berichterstattung. Er selbst wisse nicht das Patentrezept, wie man die Journalisten ueberzeugen muesste, um „die gute Meinung zu gewinnen“. Er erwarte von Journalisten, dass sie nicht immer ihre persoenliche politische Meinung einblenden.

Christoph Steegmans, stellvertretender Regierungssprecher und vormals Pressesprecher der FDP-Fraktion, nennt die Journalisten auch mal Kollegin oder Kollege. Von Leif nachgefragt, sagte die ZDF-Redakteurin Bettina Schausten, sie wuerde Steegmans nicht als Kollegen bezeichnen. Steegmans treffe sich mit Journalisten auch in deren Wohnzimmern. „Naehe heisst nicht Kumpanei, aber umsonst scharrt keine Henne“. In Berlin sei das ueblich, donnerstags als Regierungssprecher ins „gelbe Wohnzimmer“ geladen zu werden und gelegentlich wechselten die Wohnzimmer, je nach dem, welcher Journalist dieser Gruppe zu den Gespraechen einlaedt. Christoph Steegmans schaetzt gute Weine und die koennen auch gemeinsam mit Journalisten genossen werden. Er passe schon auf, sich an eine taegliche Maxime in der Kommunikation zu halten: Steegmans wolle „beide Seiten zur Haelfte unzufrieden gemacht“ haben, denn, die Journalisten bemaengelten stets, sie seien zu wenig informiert worden, waehrend die zu vertretenden Politiker sagen, er habe schon wieder zu viel gesagt.

Ein Platz blieb leer. Dirk Kurbjuweit, Leiter des Hauptstadtbüros von Der Spiegel sagte kurzfristig ab. Der Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz, beim Bund und für Europa Staatssekretaer Karl-Heinz Klaer lud ein zum Mainzer Medien Disput am 16. November 2010, um 19.00 Uhr. Das Publikum war schaetzungsweis eher intellektuell gebildet und zwischen 23 und 74 Jahre. Nach der Diskussion stellte das Publikum Fragen an die Podiumsteilnehmer. Ab 21.00 Uhr konnten alle Gaeste bei Rheinlandpfaelzer Rot- und Weissweinen und einer Hirsesuppe mit kleinen Schinken-Kaesehoernchen ihre Gedanken vertiefen, wie Rundfunk und Presse ihrer Rolle als Vierter Gewalt im Staate noch gerecht werden. (fs)
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Preis und Wert des Journalismus (Tom Schimmeck)

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Aus dem 14. Mainzer Medien Disput 2009: mediendisput.de. Tom Schimmeck, freier Autor: Preis und Wert des Journalismus (…): „die Journalisten, die freien zumindest, werden ärmer. Wer, wie ich, viel im Ausland arbeitet, muss richtig zaubern, um die Unkosten halbwegs reinzubekommen. Fragen Sie heute mal einen Redakteur am Telefon nach Reisespesen. Da kommen manchmal Geräusche aus der Hörmuschel, die Sie bislang nur aus Hagenbecks Tierpark kannten. Honorare stehen nur selten noch in einem halbwegs angemessenen Verhältnis zum betrieben Aufwand. Wenn Sie es richtig gut machen – wenn Sie wirklich recherchieren, telefonieren, nachlesen und nachhaken, wenn Sie noch mal losfahren und richtig hingucken, sind Sie ökonomisch betrachtet ein Vollidiot. Mehr dazu bei schimmeck.de/Texte/mmdrede.


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