Erster Demokratie- und Oeffentlichkeits- kongress

Erster Kongress Oeffentlichkeit und Demokratie

Gegenoeffentlichkeit ergaenzt Demokratie, ein demokratischer Wettbewerb.

Von Franziska Sylla

Berlin, 2./9.10.2010. Auf dem ersten Kongress Oeffentlichkeit und Demokratie, der vom 1. bis 3. Oktober in der SPD-nahen Friedrich Ebert Stiftung (FES) in Berlin stattfand wurde vieles klarer. Vor allem, dass eine unueberschaubare Vielfalt der Medienprojekte und Medienmacher in den vergangenen Jahren entstanden ist, die nicht per se dem Journalismus entsprang oder ihn gar verdraengen muesste.

Ueber 130 Referenten (oeffentlichkeit-und-demokratie.de/speakers) folgten dem Aufruf vom 3. Maerz 2010 des 13-koepfigen Personenbuendnisses „Initiative Oeffentlichkeit und Demokratie“, dem unter anderem Thomas Leif, Vorsitzender von „netzwerk recherche e.V.“ und Chefreporter beim Fernsehen SWR Mainz, Christophe Zerpka, freier Journalist, und Dieter Rucht, angehoeren. Der Forscher sozialer Bewegungen und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac, Dieter Rucht, hat das Vorwort der 40-Seiten-Broschuere zur Veranstaltung geschrieben. (kongresshintergrund).

Als Traeger beteiligten sich am Kongress 13 Organisationen, darunter Verbaende, Stiftungen, Medien, Buergerrechtsorganisationen, Forschungsinstitutionen. Die Eroeffnungsrede hielt laut Pressemitteilung Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi am Freitagabend in der FES.

Am Samstag, dem 2. Oktober, stand um 16 Uhr im Raum 119 das Thema „Journalistische Ethik – was ist das?“ auf dem Stundenplan. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) veranstaltete eine kleine, aber feine Diskussionsrunde. Die Pressefreiheit ist im Grundgesetz verankert, doch gebe es juristische und ethische Grenzen für Journalisten. Wie sollten sich Journalisten verhalten, wenn sie über Amokläufe oder Geiseldramen berichten? Der Journalist und ehemalige Chefredakteur der Zeitung „Bild“ Udo Roebel, der während der Geiselnahme 1988 in Gladbeck zu den beiden Geiselnehmern ins Fluchtauto stieg, war verwundert, als er von sehr vielen Journalisten zum 20 Jahrestag dieses Vorfalls angerufen und zu Interviews eingeladen wurde. „Wenn die Medien nicht die Bilder von damals gehabt haetten, haetten die die Story nicht gemacht“, sagte Roebel. Es sei die „Faszination der Bilder“, die eine „Doppelmoral“ erzeuge bei den Medienproduzenten. Roebel wisse, dass es eine einmalige Situation war 1988 und es klar sei, er habe journalistisch falsch gehandelt damals. In der Konsequenz wurde „nach Gladbeck“ der allgemein anerkannte, aber rechtlich nicht bindende Pressekodex um einen Absatz erweitert, sagte die Sprecherin des deutschen Presserates, Ella Wassink: „Ein Interview waehrend des Tatgeschehens ist unzulaessig.“ Ausserdem wurde in die deutsche Gesetzgebung der Begriff „mutmasslich“ eingefuehrt, wenn man vom vermeintlichen Taeter oder Opfer spricht.

Fragen aus dem Sechs-Personen-Publikum waren willkommen. Welche Sanktionen stehen dem Presserat zur Verfuegung und ab wann schreitet er ein? Ella Wassink: Im Grunde gebe es nur die Sanktion „der Ruege“, die oeffentlich und nichtoeffentlich geschehen koenne. Die sei aber schon sehr „unangenehm“, sagte Journalist Roebel und die stellvertretende Bundesvorsitzende des DJV und Journalistin Ulrike Kaiser, die anstelle des DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken zur Diskussion erschien, ergaenzte: Eine bekannt gemachte Ruege vom Presserat ist „sehr unangenehm.“ So etwas moechte „man nicht haben“. 92 Prozent der geruegten Journalisten und Journalistinnen beziehungsweise der Medienproduzenten naehmen die Ruege ernst und veroeffentlichten die Zurechtweisungen vom Presserat. Es gebe schon eine Art „Prangerwirkung“, sagte Wassink, die aber auch einraeumte: Eine „perfekte Formulierung ohne Fehler gibt es nicht“. Da nickten alle Teilnehmer.

Der Chefredakteur Politik vom Tagesspiegel, Stefan-Andreas Casdorff, wollte den Begriff der Ethik im Journalismus differenzierter betrachtet wissen. Casdorff unterscheide zwischen „persoenlicher Ethik und professioneller Ethik“. Letztere beinhalte gar eine „Proffessionsethik“, die er wirtschaftlich, rechtlich oder moralisch unter dem Begriff „Systemethik“ zusammenfasste. Die Problematik begaenne bereits in der Berufsbezeichnung des Journalisten, der immer noch „ungeschuetzt“ ist. Vor unethischen oder falschen Verhaltensweisen bewahre ein gewisser „Skeptizismus“, nannte Casdorff sein Rezept, sich als Berichterstatter vor rechtlichen Konsequenzen zu schuetzen und von dem unmittelbaren Geschehen zu distanzieren.

Ziffer 12 des vom Presserat herausgegebenen Pressekodex behandelt das Thema Diskriminierungen. Das ist ein wichtiger Punkt in der Berichterstattung, insbesondere die Integrationssoziologie betreffend. Schnell suggerieren Aussagen von Journalisten oder Fernsehbilder, dass es sich bei einem mutmasslichen Taeter um eine Person einer ethnischen Minderheit oder einzelnen Gruppen handele, wenn es woertlich heisse: Der tuerkisch-staemmige, der Deutsch-Tuerke, der Deutsch-Araber. Dazu gehoerten auch neue, dem Zeitgeist entsprungene Formulierungen wie der 18 Jahre alte Jugendliche mit Migrationshintergrund. Udo Roebel sagte, man muesse auch beim Namen nennen duerfen, welcher Herkunft die beschriebenen Personen sind, solange es fuer die allgemeine Oeffentlichkeit wichtig ist im Rahmen einer journalistischen Aufklaerung.

Die Moderatorin und Pressesprecherin des DJV dieser kleinen Runde, Eva Werner, lenkte auf weitere Aspekte ethisch oder rechtlich bedenklicher Arbeitsweisen von Journalisten. Wie soll mit Bildern, insbesondere von Kindern und anderen Opfern von Unfaellen, Gewalt oder Vernachlaessigungen umgegangen werden? Aus dem Publikum kam das Beispiel der Kindstoetung der zweijaehrigen Lea durch Verhungern, verursacht von ihrer eigenen 21 Jahre alten deutschen Mutter aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth. Das wird in der medialen Praxis unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Zeitungen, so der Tagespiegel-Redakteur Stefan-Andreas Casdorff, die kuerzen die Namen, veraendern diese, machen die Bilder unscharf oder versehen sie mit einem Balken im Gesicht, waehrend andere Zeitungen klare Namenszuordnungen gewaehren und die Ursprungsfotos zeigen.

Wassink vom deutschen Presserat sagte, in einigen Faellen „kann das Foto“ gezeigt werden, „muss vielleicht sogar“, weil es den Lesern naeher ginge, „wenn man das Kind sieht“ das „suesse Baby“, dem etwas angetan wurde und die Dinge klarer vor Augen gefuehrt werden. Szenen vom zu Tode kommen oder Leichenteile, duerften aber nicht gezeigt werden. Das beziehe sich auch auf die Bilder, die im Rahmen der Berichterstattung zum Unglueck bei der Musikgrossveranstaltung Loveparade 2010 in Duisburg beispielsweise von Personen, die vor Ort waren, produziert und der breiten Oeffentlichkeit praesentiert werden.

Unerwuenscht seien daher Fernsehbilder, die Todesfaelle aufgenommen haben, wie das herangezoomte Hinabspringen von Menschen aus den Gebaeuden des World Trade Centers am 11. September 2001. Gesendet werden duerften nur Bilder, die zwar den Sprung zeigen, von dem der Zuschauer zwar bewusst sei, dass der unweigerlich zum Tod fuehrte, aber nicht das Aufkommen am Boden sowie nicht die vom Schrecken gekennzeichneten Gesichter, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Anders verhielte es sich mit Bildern aus Kriegsregionen oder Situationen, in denen es um Verstuemmelungen gehe, wie es in manchen Teilen dieser Welt noch gibt, beispielsweise die Genitalverstuemmelung bei Frauen. Dazu habe eine Journalistin aus dem Publikum eine Reportage angefertigt. Udo Roebel sagte, es liege auf der Hand, der Oeffentlichkeit „das Gesicht des Krieges zu zeigen“, allerdings, so Ulrike Kaiser, werde „eine Zeitung nicht zusammen geschrieben, sondern zusammen geredet“, das heisst, in den Redaktionen wird sehr viel diskutiert, was, wie, warum veroeffentlicht wird, bestaetigte auch Casdorff. Im Fall der Reportage ueber die Genitalverstuemmelung bei afrikanischen Frauen hatte die Journalistin, wie der Demokratie Spiegel nach der Veranstaltung erfuhr, die Mittel der detailgenauen Wortbeschreibung und das zur Lebensgeschichte gehoerende Gesichtsportraet zur Veroeffentlichung verwendet.

Als vierte Macht im Staat ist der Journalismus eine oeffentliche Instanz, „eine Lehre, die wir mitpraegen“, so Kaiser, die den einzelnen Medienmachern viel abverlange. Casdorff wolle die Transparenz der Zusammenhaenge auch „etwas dem journalistischen Gefuehl ueberlassen“. Ueber diese Abwaegungen in der journalistischen Darstellung wolle Casdorff aber im Tagesspiegel keinen Kommentar schreiben, das finde er „zu eitel“. Und die Vertreterin vom Presserat Wassink betonte, der „Presserat ist kein Staatsanwalt“ und „der Journalist kein Polizist“, ergaenzte Eva Werner vom DJV. Wer aber mit Hilfe „verdeckter Ermittlungen“ tatsaechlich Misstaende aufdecke, kann schon mal „den Waechterpreis“ gewinnen, sagte Udo Roebel und Casdorff nickte.

Bei der Frage: Dürfen Politiker auf Schritt und Tritt „observiert“ werden? rang die Diskussion um die Aspekte des Privaten und des Oeffentlichen Lebens einer Person, die zwar im oeffentlichen Leben stehe und die oeffentliche Meinung beeinflusse, aber eben auch ein Privatleben habe. Ab wann ist etwas privat, ab wann oeffentlich wichtig? Am Beispiel des so genannten Caroline-Urteils wurde deutlich, das Privatleben von Prominenten ist schuetzenswert: Das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2004 gefällte Urteil brachte für die europäische Boulevardpresse erhebliche Einschränkungen in den Möglichkeiten der Berichterstattung über Details aus dem Privatleben von Prominenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhalf Prinzessin Caroline zu einer Schadensersatzverpflichtung im Jahr 2005 von 115.000 Euro. Der Journalist Casdorff sprach dazu Guido Westerwelle an, der beispielsweise seine Heirat mit Michael Mronz der Oeffentlichkeit gegenueber verschwieg, solange es ging und der immer wieder betone, das sei sein Privatleben, das gehe niemanden etwas an.
______________________________
Das koennte Sie auch interessieren: http://www.
presserat.info/inhalt/der-pressekodex/pressekodex.html

Anderes Medium zu Kindstod der kleinen Lea: http://www.stern.de/panorama/tirschenreuth-mutter- liess-zweijaehrige-tochter-offenbar-verhungern-1554679.html


Ulrike Kaiser, Vorstand DJV (Bild: oeffentlichkeit- und- demokratie.de)

(C) 2005-11 - by MedienModul (mmb)

Diese Seite drucken