Buergerpolitik: Es fehlte die Mitte


Von Timothy William Donohoe (TWD)


Berlin, 17./23.7.2010. Geplant war, dass eine repräsentative Breite von Menschen am 17.07.2010 vor dem Rathaus Schöneberg ein unmissverständliches Zeichen setzt. Und vorrangig wollte man friedlich protestieren.

Dies war die Hoffnung der verschiedenen Gruppen, die gegen den angekündigten Pro Berlin Parteitag im Rathaus Schöneberg protestieren wollten. In den Wochen und Tagen vor jenem Samstag wurde aufgerufen und plakatiert; ungefähr 50 Organisationen wurden als Unterstützer gewonnen. Laut eigener Schätzung, erwarteten die Veranstalter an die 6.000 Pro-Deutschland-Gegner, ausgerüstet mit Transparenten, Trillerpfeifen und Luftballons. Öffentliche Personen wie Celal Altun, Vorsitzender der Türkischen Gesellschaft e.V. sowie der Berliner SPD-Abgeordnete Lars Oberg hatten im Voraus für eine friedliche Protestaktion geworben.

Die zum Teil unübersichtlichen Situationen an jenem 17.07.2010 waren nicht dem von der Hochsommersonne überhitzten John-F.-Kennedy-Platz noch dem darauf stattfindenden samstäglichen Flohmarkt geschuldet. Zudem wirkten verwirrte Hochzeitsparteien vor dem Standesamt zwischen Demonstranten und Polizei etwas deplaziert. Womöglich gab es noch viele andere Gründe, warum manche/r „Normalbürger“ oder „-bürgerin“ den Weg zum Gegenprotest nicht fand. Letztendlich war höchstens nur ein Zehntel von der erhofften Zahl an Protestierenden gekommen. Mit wenigen Ausnahmen, waren diese dem extrem linken Rand des Politspektrums zuzuordnen – Anhänger der Marxistische Leninistische Partei Deutschlands, zum Beispiel, oder die der Antifaschistischen Aktion. Von den angekündigten ausländischen Vereinen waren auch nur linke Gruppierungen augenfällig, beispielsweise Gladt e.V. – Gays & Lesbians aus der Türkei, und die DIDF – die Föderation demokratische Arbeitervereine, eine linksorientierte Vereinigung großteils türkischer und kurdischer Arbeiter.

Die Kritik am Islam – und an die in Deutschland Lebenden, die aus islamischen Ländern stammen – ist zum Teil aus den Missverständnissen, Ängsten, und Unsicherheiten abgeleitet, die in weiten Teilen der Bevölkerung ihr Resonanz findet. Auch Männer und Frauen aus der gesellschaftlichen Mitte, die gewöhnlicherweise eine der Volksparteien wählen, fordern ein, dass ausführlicher und konkreter über die heutige Ausländerpolitik beziehungsweise -problematik in der Öffentlichkeit debattiert wird.

Missverständnisse, Ängste und Unsicherheiten sind auch in breiten Teilen der aus islamischen Ländern stämmigen Bevölkerung festzuhalten. Dr. Andreas Fuhr, Pfarrer in der Zwölf-Apostel-Gemeinde in Schöneberg und Islambeauftragter des Kirchenkreises, konstatierte, dass auch Muslime in Deutschland eine "allzu simple Vorstellung von Christentum besitzen". Für Pfarrer Fuhr geht es aber auch darum, "anti-aufklärerischen Organisationen wie Pro-Deutschland die rote Karte zu zeigen und damit auszubremsen". Hassan Bektaş, Teilnehmer an der Demonstration, sieht dies ähnlich: "Pro-Berlin sorgt bei Migranten nur für Probleme; sie trägt zu den Problemen selbst bei. Wir sind hier für alle Menschen, egal ob christlich oder islamisch. Alle Menschen haben ein Recht darauf, in Frieden zu leben."

Für viele mag die derzeitige „Ausländerpolitik“ strittig, inkonsequent oder durcheinander sein. Aber: Mit anwachsendem Engagement von Migrantengruppen wird in der deutschen Alltagsgesellschaft mit den Problemen immer besser umgegangen. Pfarrer Fuhr bekräftigt, auf "die Ängste in der Bevölkerung kann man eingehen. Und durch Begegnung – einem sich gegenseitigen Erleben – kann man Besorgnisse abbauen". Mit diesem Prozess könnten ausländische Gruppen in die Gesellschaft eingebunden werden. Täglich begegnen uns Türkisch- und Arabischstämmige als Busfahrer oder Bankangestellte, Lehrer oder Luftverkehrskaufleute. Oder als Polizistinnen und Polizisten, wie beispielsweise um das Rathaus Schöneberg an jenem Samstag zu erkennen war. Es ist ein Erfolg, wenn Deutsche mit Migrationshintergründen in solchen standhaften Berufen arbeiten.

Dafür hat die „deutsche Mitte“ maßgeblich beigetragen. Nur ist die deutsche Mitte, an einem Tag an dem eine Organisation wie Pro Deutschland im geschichtsträchtigem Schöneberger Rathaus tagen will, zu Hause geblieben. Oder ist einkaufen oder schwimmen gegangen. Unter den erschienenden Protestlern jedenfalls machten die Normalbürger nur einen Bruchteil aus. Das ist schade. Eine verstärkte Präsenz der Bürgerschaft bei dieser Demonstration hätte zeigen können, dass die Mitte der Gesellschaft gleichzeitig politisch tolerant und fordernd ist. Sie hätte an dem 17. Juli dazu beitragen können, dass die Klamaukaktionen zwischen den Linksaktivisten, Pro-Berlin-Anhängern und Berliner Polizei nicht zu Stande gekommen wären. Sie hätte die gellenden, belanglosen Anti-Deutsch und Anti-Polizei Parolen, die affig gebrüllt wurden, verstummen lassen können.

Darin, leider, liegt das Kernproblem. Sofern sich linksextreme Gruppierungen zur Teilnahme an einer Anti-Pro-Berlin-Demo anmelden, wollen wahrscheinlich viele Alltagsbürger einfach nicht dazukommen. Es ist zu vermuten, dass sie unnützen Krach, Tumult und Gewalt befürchten. Sie können sich dann nicht mehr im soliden Zentrum stehen sehen, sondern in der ungewollten Mitte eines Tauziehens zwischen extrem Links und Rechts.

Die ausländische Mitte ist ebenfalls zum Tag nicht sichtlich aufgetreten. Vielleicht war sie über das Event nicht ausreichend informiert. Celan Altun wünscht, die Mitwirkung seiner Organisation als „Anfang eines größeren Beteiligungsprozesses“ zu betrachten. Es kann sein, dass viele ausländische Mitbürger der gesellschaftlichen Mitte Krach, Tumult und Gewalt meiden möchten – sei es von den deutschen Rechten oder Linken. Auch Immigranten sehnen sich nach Frieden; auch sie wollen nicht in einer unberechenbaren, unüberschaubaren Situation geraten.

Die hier lebende Mitte ist jetzt gefordert, ihre Teilhabe ist wichtig. Diese Mitte ist durchwegs fortschrittlich aufgestellt. Sie versteht es, eine Frau als Landesbischöfin und einen offen lebenden Homosexuellen als Bundesaußenminister anzunehmen. Eine Partei, die sich anfangs fast ausschließlich mit Umwelt und Abrüstung beschäftigte, stieg, mit ihrer Unterstützung, zur Regierungsebene. Die Mitte der Zugewanderten versteht sich als aufgeschlossen und friedliebend. Der Mitte aus Deutschen und Zugewanderten wird (und muss!) es gelingen, mit dem Extremen der linken und rechten Politszenen – sowie mit Migrantengruppen, denen Integrationsschwierigkeiten nachgesagt werden – kritische, aber auch sachliche und aufrichtige Auseinandersetzungen zu führen. Nur so können die sichtbaren Einrisse der gesellschaftlichen Flickendecke, die Deutschland geschichtlich und gegenwärtig ist, nachhaltig und zufrieden stellend zusammengenäht werden.


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