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Textilkünstler Bejsovec und seine Konfliktstoffe

Camouflage: Vom Tarnmuster der Kalten Krieger zum Identifikationsmerkmal

Jan Bejŝovecs Collagen aus Tarnflecken-Flicken symbolisieren das unvollkommene Verschmelzen von Ost und West – und enttarnen die Sehnsucht nach Wurzeln der Haltung und Herkunft.

Von Stefan Jalowy

22.05.2010 (Berlin) – Mit einer Laudatio auf einen ungewöhnlichen Polit-Künstler eröffnete Siegmund Ehrmann, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gestern abend die Ausstellung „Textilkunst aus Konfliktstoff“ in den Räumen der Kommunikationsagentur „Republik Movida“ im Berliner Regierungsviertel. Der im Raum Chemnitz gebürtige Textilkünstler Jan Bejŝovec beschäftigt sich in seinen Schnitt-, Naht- und Stick-Collagen mit Themen wie staatlicher Folter, globalem Terrorismus – aber auch politischer Propaganda und den verblassenden Schnittstellen zwischen Ost und West. Die Ausstellung wurde kuratiert von Martin Bayer, Journalist (und „Demokratie-Spiegel“-Autor) sowie als kompetenter Dozent zu militäranalytischen Themen international renommierter Netzwerker.

Militärisch-akkurater Haarschnitt. Tadellos aufrechte Haltung. Die Kavalleriestiefel blitzblank geputzt und lediglich das Fehlen von Schulterstücken auf dem luftwaffenblauen Uniformrock irritieren den Besucher…auf den ersten Blick. Nein, der junge Herr mit den aufmerksamen dunklen Augen und der höflich-zurückhaltenden Attitüde ist kein Vertreter einer bundesdeutschen, alliierten oder fremdländischen Militärorganisation. Aber – ja, er bekennt eine „starke Anziehung“, die militärische Symbole, Bekleidungen und vor allem Tarnmuster auf ihn ausüben. Doch da war der enge Kontakt zum Großvater, der ehemals als Näher in einem VEB Werktätiger Uniformen für die „Nationale Volksarmee“ fertigte und der im Rahmen der „in der DDR üblichen Selbsthilfe“ zahlreiche militärische Textilien mit Tarnmuster in Bejŝovecs Elternhaus brachte. Der Enkel, Jahrgang 1975, lässt sich faszinieren von dem künstlerischen Aspekt der gemeinhin mit Blut, Schweiss und Schlamm assoziierten Tarnmuster von Kampfanzügen, Feldblusen, Zeltbahnen und Tarnüberzügen. „Eigentlich waren es französische Künstler, die während des Ersten Weltkriegs unmittelbar an der Front die ersten Tarnschemata mit der Hand entwarfen und den Truppen zu deren Sichtschutz zur Verfügung stellten“, erläutert der Textilkünstler den Ursprung von „Ein Strich/Kein Strich“ (dem Standard-Tarnschema der NVA-Kampfanzüge), Bundeswehr-„Flecktarn“ und der US-amerikanischen „Woodland“-Tarnung. „Ich habe sehr früh begonnen, mich mit Uniformen und vor allem mit den Tarn-Bekleidungen zu befassen und dann bin ich auf ein Paradoxon gestoßen“, erklärt Jan Bejŝovec. „Ursprünglich waren diese Tarnmuster dafür gedacht, ihre Träger für den Gegner schwer erkennbar, quasi unsichtbar zu machen. Aber heute symbolisieren viele dieser Tarnmuster für viele Menschen ein Stück Identität, Erkennbarkeit.“

Weniger als staatliche Symbole, aber durchaus als Symbole der eigenen Geschichte, der gemeinsamen Vergangenheit und Verbundenheit. Dennoch durchblickt der Textilkünstler, der sich in den letzten Jahren auch mit den Tricks, Techniken und Absichten in der Profi-Szene der Unternehmens-Kommunikation befasst hat, sehr wohl auch die propagandistisch psychologisierende Wirkung von Uniformen auf ihre – zumeist – einen Schnitt durch die Gesellschaft repräsentierenden Träger. „Dieses „Wir“-Gefühl, das durch die gemeinsame Uniform gestärkt wurde, sollte zum Beispiel in der DDR durch offiziell gefertigte und verliehene Propaganda-Aufnäher und -Wimpel noch intensiviert werden. Sowas trug man dann mit Stolz.“ Bejŝovec thematisiert diese Orden-, Aufnäher-, Banner- und Wimpelmanie in seinem NVA-Triptychon unter dem Titel „Ehre“.

Abbildung: Jan Bejsovec mit seiner Frau - und einer Besucherin vor dem Raubvogel, Textilappliaktion auf Keilrahmen, 110x130 cm, 500 Euro. (Foto: stj)

Vorwärts zur Weltrevolution

Jan Bejsovecs Collagen aus Tarnflecken-Flicken



In der DDR-NVA waren es graphisch dynamisch stilisierte Motive aus der „Vorwärts zur Weltrevolution der Arbeiter und Bauern!“-Schule. Beim BRD-Bund wurden erst ab Anfang der 80er stark heraldisch geprägte Verbandsabzeichen auf kleinen emaillierten Anhängern für den linken Brusttaschenknopf offiziell uniformwürdig. Wie bekannt siegte schließlich das Heraldische über das Weltrevolutionäre und so besteht der Bundesadler in „Raubvogel“ konsequenterweise aus verschiedenen Flecktarn-Mustern „West“. In seinen Klauen die zerfetzten Fragmente von Hammer-und-Sichel „Ost“. „Konfliktstoffe“ – verblüffend lakonisch und doch andererseits bestürzend auf den Punkt reduzierte Zeitgeschichte. Aus einer Perspektive, wie sie vielleicht nicht von vielen der Vernissage-Besucher geteilt – aber offensichtlich mit nachdenklichen Mienen wahrgenommen wurde. Die Momentaufnahme der kurz darauf Teil der Weltgeschichte werdenden „Twin Towers“-Silhouette in „August der Elfte“ – die Gebäude des Weltfinanzzentrums Wall Street aus Camouflage-Streifen. In der Galerie der „Konfliktstoffe“ überrascht dann doch der narzisstisch-grazil posierende „Tänzer“ (im Mega-Format 210 x 85 cm)…der statt in Feldjacken-Mustern vor sphärischem Himmelblau in Schwarz und Rot posiert.

Soll ich mal…diese Konstellation in gesellschaftlichem, politischen Kontext interpretieren…? Das erspart Ihnen der Verfasser – und überlässt eventuelle Deutungsansätze den analytisch-intuitiven Antennen der interessierten Leserschaft. Spannend sind die „Konfliktstoffe“ des Jan Bejŝovec auf jeden Fall und somit (m)einer Empfehlung mehr als würdig.

Wer sich für die „Konfliktstoff“-Bilder interessiert und mehr als in unserer Foto-Galerie sehen (und an-/ fühlen) möchte – Informationen gibt es bei der www.republik-movida.de, www.wartist.org oder bei Jan Bejŝovec (www.konfliktstoff.org).

Abbildung: Statischer Tänzer - und Besucher in Bewegung. Objekt: Jan Bejsovecs, Teilapplikation, Handstickerei210x85 cm, 1000 Euro. (Foto: stj)

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