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Mediendisput zur Afghanistan-Informationspolitik

Pressesprecher: „falsche Kommunikationsstrategie"


Heinrich-Böll-Stiftung und Bundesverband deutscher Pressesprecher luden zur Podiumsdiskussion über angeblich verzerrtes Afghanistan-Bild in der Öffentlichkeit

Von Stefan Jalowy

11.05.2010 (Berlin) – Das Engagement der Bundesrepublik in Afghanistan wird von den Medien nicht richtig dargestellt. Eine These, der die Teilnehmer des Mediendisputs zum Thema „Ist ein Stimmungswandel gestaltbar? – Chancen und Risiken in der Kommunikation des Afghanistaneinsatzes“ einhellig zustimmten. Zu der Podiumsdiskussion hatten der Bundesverband deutscher Pressesprecher (BdP) und die Heinrich-Böll-Stiftung gestern in Berlin geladen. Barbara Unmüssig, Vorstandsmitglied der Stiftung: “Wenn über Afghanistan berichtet wird, dann in erster Linie über die militärischen Aktivitäten. Über die Tätigkeiten der Hilfsorganisationen berichten die Medien inzwischen praktisch gar nicht mehr.“

Abbildung: Barbara Unmüssig, Vorstandsmitglied - der Heinrich-Böll-Stiftung. (Foto: stj)

Die Gründe für diese ihrer Meinung nach einseitige Berichterstattung der deutschen Medien sahen die Teilnehmer der Diskussion teilweise in einer „falschen Kommunikationsstrategie“ zu Beginn der seit mehr als acht Jahren laufenden Einsätze deutscher Kräfte und Nicht-Regierungsorganisa-tionen (NGOs). „Es wurde zu lange schöngeredet und verharmlost“, stellte Harald Händel, Sprecher der „European Union Police Mission in Afghanistan“ (EUPOL-AFG) fest. Wilfried Stolze, Pressesprecher des Deutschen Bundeswehrverbandes, zitierte den Vater eines am Hindukusch gefallenen Bundeswehrsoldaten: „Wir vertragen die Wahrheit – sagt sie ruhig.“ Obwohl es in Afghanistan zahlreiche Beispiele für das erfolgreiche Wirken deutscher Aufbauhelfer, Polizeibeamter und Bundeswehreinheiten mit zivil-militärischen Aufgaben gebe, werde inzwischen fast ausschließlich über verwundete oder gefallene Soldaten berichtet.

„Good news are no news – gute Nachrichten sind keine Nachrichten“, kommentierte EUPOL-Mann Händel die Berichterstattungspraxis deutscher Medien aus Afghanistan. „Dabei gibt es zahlreiche praktische, gute Beispiele für das erfolgreiche Wirken deutscher Helfer – zum Beispiel der Rückgang der Säuglingssterblichkeit von rund 450 auf 150 auf Tausend Neugeborene.“ Barbara Unmüssig, in Sachen Afghanistan schon lange engagierte Menschenrechtsaktivitstin der grünen Böll-Stiftung, fügte hinzu: “Die ISAF verzeichnet mehr Besucher aus den Medien als die Aufbauprojekte. Es ist an der Zeit, die Aufmerksamkeit stärker auf die zivilen Projekte zu lenken.“ Auch wenn sie keineswegs den „embedded journalism“ (in Einheiten oder Teams integrierte Journalisten) gut heiße, so müsse man doch über eine neue gemeinsame Kommunikationsstrategie aller in Afghanistan engagierten Organisationen nachdenken. So wären amerikanische und britische NGOs und staatliche Aufbauhelfer zu vierteljährlichen Rechenschaftsberichten verpflichtet, die der Öffentlichkeit zugänglich wären. „Das ermöglicht einen objektiven Überblick, schafft Transparenz und dokumentiert die Arbeit der NGOs auch in schwierigen Situationen.“

Abbildung: Harald Händel - Sprecher der „European Union Police Mission in Afghanistan“ (EUPOL-AFG) (Foto:stj)

Den Vorwurf mangelnder Transparenz und Offenheit in der Informationspolitik wies Dr. Rolf Steltemeier, Pressesprecher von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), zurück: „Wer wissen will, wie der Stand der Dinge in Afghanistan ist, dem kann ich nur die Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) empfehlen. Da sind alle aktuellen Informationen zu finden.“ Zugleich aber räumte auch der Ministerialsprecher ein, dass alle am Hindukusch tätigen Behörden, Institutionen und Organisationen ihre Medienarbeit stärker absprechen und für einen „Gesamtauftritt“ sorgen sollten. Zugleich müsse man „die Dinge beim Namen nennen“ und dürfe keinesfalls den Ernst der jeweiligen Lage verharmlosen.

„Die Zeit ist lange schon reif für gründliche Analysen und Studien sowohl der Fortschritte als auch der sich ändernden Lebensumstände und Bedürfnisse der Menschen in Afghanistan“, forderte Barbara Unmüssig im Namen der Böll-Stiftung. Schließlich wären laut aktueller Umfragen in dem Krisenland inzwischen 71 Prozent der Afghanen mit ihren derzeitigen Lebensumständen zufrieden. Das sei eindeutig ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit der zivilen wie der uniformierten Aufbauhelfer – auch aus Deutschland. Doch jetzt müsse man mehr Informationsmöglichkeiten für die Medien schaffen, mehr Besuchergruppen aus Journalisten und Meinungsmultiplikatoren nach Afghanistan einladen. Gerade weil der künftige Einsatz des Bundeswehr-Kontingents im Rahmen der ISAF-Mission mit höheren Risiken und vermutlich wohl auch einem höheren Blutzoll verbunden wäre, müsse man der deutschen Öffentlichkeit jetzt eine Tatsache anhand von Berichten und Reportagen vor Augen führen: dass nämlich nur in zehn Prozent Afghanistans ein Krieg stattfinde.

In den restlichen 90 Prozent des Landes würden die Aufbauprojekte deutscher und internationaler Organisationen für eine weiter wachsende Stabilität der Verhältnisse am Hindukusch sorgen. „Wir müssen jetzt ganz klar Versäumnisse aufarbeiten und vor allem der Öffentlichkeit eine deutliche Perspektive für Afghanistan aufzeigen“, forderte BMZ-Sprecher Steltemeier. „Und damit ist nicht in erster Linie eine Abzugsperspektive gemeint.“

Abbildung: BMZ-Rolf Steltemeier - (Foto: stj)

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