Sie sind hier: Kunst / Kultur
Zurück zu: Neue Artikel (gemischt)
Weiter zu: Galerie Kunst
Allgemein: Kontakt / Redaktion Skellettsicht FAQ Umfragen Politik in Bildern Impressum

Suchen nach:

Die andere Lesung vom sehr anderen Reisereporter

Triffst Du Altmann, begleite ihn...!


Andreas Altmann liest aus seinem neuen Buch „Triffst Du Buddha, töte ihn!“

27.03.2010, Berlin – Zehn vor halb neun stehen wir vor dem hellerleuchteten Schaufenster von „Lehmanns Fachbuchhandlung“ in Charlottenburg. Es ist ein lauer Märzabend, vor drei Tagen rieselte der letzte Schnee und Draußen vor der Tür müssen wir uns ernsthaft überlegen, ob wir uns noch Zigaretten anstecken. Bevor „es“ losgeht. Denn stehen wollen wir nicht die zu erwartende eine oder eineinhalbe Stunde und „drinnen“ sitzt, wartet, schaut ein gutes Hundert Frauen, Männer, Neugierige, Coole, Gelangweilte, Pensionierte, Plappernde, Suchende und Harrende auf dürren Klappstühlen. Auf der schmalen Galerie vor den säuberlich bunt sortierten Buchrücken der Werke hochmögender oder stinklangweiliger Autoren, Schwadroneure oder Kapazunder hocken sie ellenbogeneng wie die Hühner auf der Stange. Sie sitzen in Vorfreude, vorgebeugt und mit in schalenförmig offenen Händen gestützten Kinnen, fliehenden wie kantigen, manche auch doppelt und dreifach gefaltetet. Einige Entspannte haben ihre Füße zwischen die Geländerstreben gestreckt und spähen wie hungrige Möwen aufmerksam hinunter, über die Köpfe der im Parterre platzierten Mithörer hinweg. Sie alle wollen ein paar Brocken Reiseliteratur auffangen, ganz sicher nicht von der Stange, sondern einen wieder einmal sehr speziellen Reisebericht aus der Feder und heute abend sogar aus dem Mund von Andreas Altmann. „Triffst Du Buddha, töte ihn!“ hat er oder sein Kölner Verlag das aktuelle, das dreizehnte Buch des Weltreisenden und Reisereporters betitelt.

Es sind viele Zuhörer für einen Wochentagsabend Ende März. Altmann oder Buddha oder der Pfad seiner Reise scheinen sehr attraktiv zu sein. Wir werden sehen und hören und rauchen bis eine Minute nach halb, um dann noch zu Notsitze zu ergattern, halb hinter einer übermannsgrossen Bücherpyramide. Vor dem kleinen Podest mit dem Tisch, auf dem eine 50er-Jahre-Schreibtischlampe ihr gelbliches Glühbirnenlicht auf ein Büchlein und ein stilles Glas Wasser wirft, steht einer, der ein bisschen wie Campino von den „Toten Hosen“ aussieht. Schwarze hüftlange, eng anliegende Jacke mit breitem Revers und statt einem Shirt, Hemd oder Sweater lugt darunter der Ansatz einer leicht rötlichgebräunten Männerbrust hervor. Ein schelmisches Lächeln, sphinxhaft, unbestimmt und doch grundheiter. Dichte schmale Augenbrauen, an den Enden ein wenig hochgezwirbelt oder einfach nach oben wachsend und darunter hellwache, punktgenau den Raum in der Tiefe wie im Vordergrund scannende Augen. Die rötlichbraunen Strähnen strahlen unter dem Rand des schwarzen Berets in die Stirn und als Andreas Altmann Profil zeigt, schwingt ein glatter Pferdeschwanz über seine Schulterpartie. Also nicht Campino, kein Gesang, dafür aber Andreas Altmann und von ihm vorgelesene und frei erläuterte Passagen aus dem „Triffst Du Buddha, töte ihn!“-Buch, auf das Monika Thees hier im „Demokratie-Spiegel“ schon Anfang März aufmerksam machte.

Abbildung: Andreas Altmann - am 25. März 2010 in Berlin, in der Lehmanns Fachbuchhandlung. (Foto: stj)

un gut, da sitzt also dieser barrettbemützte Mann mit einer Physiognomie zwischen Rock’n’Roller Campino und der Berliner Rebellenlegende Rudi Dutschke an diesem Tischchen, beginnt zu sprechen und schaut partout nicht auf. Nicht ins Publikum, nicht zu den postmodernen Strahler-Ensembles an der Decke der Buchhandlung, sondern er schaut in sein Buch und er liest noch nicht, sondern schildert wie es zu der Reise auf den Spuren Buddhas, wie es zum Buch und wie es zu seinem gar nicht extremistisch gemeinten Titel kam. Der Spruch „Begegnest Du Buddha unterwegs, erschlage ihn“ stammt aus dem Zen-Buddhismus und soll den Suchenden erinnern, sich von Autoritäten, von festgefahrenen Vorstellungen, von Altem zu lösen und neue Wege der Selbsterkenntnis zu suchen. Und idealerweise zu finden. So findet auch Altmanns Blick unter seinen schwer nach unten gewölbten Lidern zu mir, der ich zu seiner Linken mit dem Fotoapparat sein Profil abzulichten suche.

Altmann, Mann – ich tu Dir doch nichts. Ich portraitiere nur...oder versuche es, was bei dem seltsam halbflauen Licht auf dem Podest gar nicht so einfach ist. Doch ich setze den vier, fünf Mal versteckt zu mir herüber linsenden Reiseautor weiter in den Fokus, interessante Menschen müssen nicht immer leicht abzulichten sein. Und so schäumt in mir eine Leichtigkeit wie in einem zu schnell eingeschenkten dunklen Weißbierglas hoch, ganz leicht und luftig. Altmann plaudert jetzt über Buddha und die Ernsthaftigkeit, mit der er so viele Suchende auf seiner beschriebenen Reise nach einem Zeichen, einem magischen Ort voller Erleuchtung gefahndet haben. Aus den Zuhörerreihen ist vereinzelt ein kurzes, irritiertes Lachen zu hören.

Abbildung: Bilck in den Zuschauerraum - (Foto: stj)

Überhaupt – Buddha und der Buddhismus, der Islam oder der Katholizismus sind für den fünf Jahre nach dem letzten Kriegsende im bayerischen Altötting an der österreichischen Grenze Geborenen nicht so wirklich wichtig. Vielleicht nimmt er sie als Orientierungen, vielleicht – sicher aber nicht als Maßregel-Autoritäten. Er nimmt sie einfach nicht so ernst und begibt sich in Situationen, ergibt sich fein und raffiniert beobachtend deren sehr menschliche Zumutun-gen und Anmutungen. Die Zuhörer lachen immer wieder mal auf. Und Altmanns rechte Hand hebt sich – er liest inzwischen aus seinem Buch – zu einem mit gekrümmten Zeigefinger apostrophierten Gänsefüßchen. Er gänsefüßelt im Minutentakt und betont dazu gekonnt sich selbst rezitierend die teils ironisch-feingedrechselten, teils doppeldeutigen Formulierungen seiner Beobachtungen. Seiner Reflektionen.

Der Aufschreiber beschreibt seinen Weg zu den überlieferten biographischen Stationen und Orten Buddhas und die Menschen und Konstellationen, denen er auf diesem Weg begegnete. Das ist unterhaltsamer als das Journal einer paarwöchigen Pilgerei auf dem Jakobspfad, denn Altmann erlebt auf dem indischen Subkontinent ein Roadmovie. Überraschend, unerwartet und so beschreibt der weltreisende Reporter-Autor seine Reiseerlebnisse, kommentiert sie lakonisch, hingebungsvoll und gelassen. Wer die ultimativen Locations für spirituell wegweisende Sonnenuntergänge erwartet, wird enttäuscht. Weder für partylustige Back-packer noch für eher organisierten Kulturreisen zugeneigten Bildungsbürgern wird der Selbsterfahrungsreisende in seinem Buch Hinweise geben. Dafür gibt es mehr – die Beschreibung einer erkenntnissuchenden Reiseroute als Selbstversuch. Wie der Untertitel des Buches schon andeutet - es ist ein Selbstversuch, den Altmann auf den Spuren Buddhas und jener suchenden Touristen unternahm, die ihrerseits auf Buddhas Spuren spirituelle Wegweiser zu entdecken hofften.

Im Gegensatz zu den entschlossen nach dem Pfad zur eigenen Erleuchtung navigierenden Geistreisenden ist der einst im Ashram in Poona teil-sozialisierte Reporter und Egon-Erwin-Kisch-Preisträger eben ein mit sanftem Zweifel beobachtender Hinterfrager. Der in Miet-Jeeps, Tempeln und Ashrams die Missverständnisse zu erkennen beginnt, die für die eifrig angestrengt sich an den Interpretationen des Buddhismus entlanghangelnden Europäer und Amerikaner so unerreichbar entfernt bleiben wie die norddeutsche Tiefebene für eine abgemagerte heilige Kuh irgendwo an einem stinkenden Straßenrand in Mumbay. Doch der Weg, den der sich als „nicht sonderlich talentiert für Spiritualität“ bekennende Journalist beschreibt, ist gepflastert von herrlich kurz, teils stakkatoartig skizzierten Schilderungen seiner Erlebnisse. Die möglicherweise spirituell Begabtere auf den sicheren Weg zu Buddhaischer Erleuchtung und Weisheit führen könnten. Zumindest aus deren subjektiver Sicht.

Abbildung: Zuhörer - (Foto: stj)

Ein kurzer Auszug: „Plötzlich tausche ich im Kopf die Rollen, bin ab sofort Inder mit dem genetischen Set von 4000 Jahren Indien und sehe einen Weißen (das wäre ich), einen Europäer, der wie ein Kreisel morgens um sieben Uhr hochspringt, eisig duscht, das Frühstück runterwürgt und lossprintet, das Gesicht verzerrt, den Adrenalinspiegel anheizt, genervt die Stimme hebt, um Tickets rauft, unbedingt die Welt sehen will, unbedingt, jeden Tag hundert Seiten lesen will, unbedingt glaubt, dass des Lebens Sinn und Herausforderungen per Vollgas erledigt werden müssen. Voller Verwunderung drehe ich mich (ich, der Inder) von dem Verrückten ab. Himmel, wie erfüllt ist mein Leben, wie bescheiden gehe ich mit der Natur um, wie grenzenlos im Einklang mit mir und den anderen verläuft mein Dasein. Und abrupt schalte ich zurück, bin wieder ich, bin wieder der Hochgeschwindigkeits-Weiße, der nicht fassen kann, dass man so lethargisch in den Tag glotzen, so stinkbequem seine Zeit verschleudern kann. Mir wird klar, dass wir beide – er, der Inder, und ich, der Deutsche – um Gnade winselten, würde ein Dritter uns zwingen, des anderen Existenz zu führen.“

Altmanns Reisen durch Indien, durch Nepal in katastrophal überfüllten Zügen, altersge-brechlichen Omnibussen und ein von ihm gemietetes Jeep-Taxi mit ungefähr drei Dutzend Cousins, Onkeln, Schwagern und Nachbarn des Chauffeurs an Bord – sie sind so dicht erzählt und ausgemalt, dass sich die Wangen der Zuhörer röten, ihre Blicke vor lauter Faszination jenes gläserne Leuchten des Verstehens annehmen. Ist das unverständlich...? Nun, dann besorgen Sie sich Andreas Altmanns Buch und lesen Sie selbst. Vielleicht geht Ihnen ein Licht auf und Sie sparen sich eine Reise nach Indien oder Nepal oder zu Buddha. Aber das müssen Sie dann schon selbst erlesen – mit „Triffst Du Buddha, töte ihn!“ geht das. Und sollte Andreas Altmann wieder einmal in einer Buchhandlung in Ihrer Nachbarschaft lesen, dann machen Sie sich auf den Weg.

Andreas Altmann – „Triffst Du Buddha, dann töte ihn!“, Dumont-Verlag 2010, EUR 18,95

Abbildung: Andreas Altmann: - „Triffst Du Buddha, dann töte ihn!“, Dumont-Verlag 2010, EUR 18,95

Andere Artikel von Stefan Jalowy lesen

Gehe zu: Mai-Ball im Admiralspalast Gedicht des Tages, 18.3.2010