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Fotograf Herbert Tobias

Die Berlinische Galerie widmete eine große Retrospektive einem homosexuellen Fotografen

Von Michael Ermisch

Ein Mann mit Zigarette im Mundwinkel lehnt lässig an der Wand, neben ihm ein zerwühltes Bett. Seine Hände greifen zum Bund der engen Shorts. Es ist nur eine kleine Geste, doch in ihr liegt die pure Verführung. Das 1957 aufgenommene Schwarzweiß-Motiv "Manfred" erzählt eine Geschichte ohne Anfang und Ende. Es gehört zum Themenbereich "das Lied von der sexuellen Hörigkeit", einem von insgesamt neun Retrospektive "Blicke und Begehren".

Mit 200 zum Teil noch nie gezeigten Arbeiten, bot die Berlinische Galerie erstmals einen Überblick über das vielfältige Lebenswerk von Herbert Tobias. Neun Jahre dauerte es, bis der gesamte Nachlass chronologisiert geordnet und für eine Ausstellung sortiert war. Im Mittelpunkt der Ausstellung standen Arbeiten aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren, der produktivsten und bedeutendsten Phase des deutschen Fotografen, der 1982 mit 57 Jahre an Aids verstarb.

Herbert Tobias war das Enfant terrible der deutschen Fotografenszene in den späten
fünfziger Jahren, ein rebellischer Star, dessen Name heute nur noch wenigen geläufig ist.
Aber man kennt seine Bilder: der junge Kinski, die Knef, Andreas Baader, Nico, verführerische Modefotos und erotische Männerfotografien. Bilder, die Tobias in Fach- und Kennerkreisen zur Legende machten.
Tobias kam als Autodidakt zur Fotografie und schon als junger Soldat an der russischen
Ostfront gelangen ihm Bilder, die in ihrer metaphorischen Dichte und Symbolhaltigkeit
weit über Amateurfotos aus dem Soldatenleben hinaus gehen. Seine eigentliche Laufbahn als Fotograf indes begann in Paris, wo Tobias von 1951 bis 1953 mit seinem Freund Dick lebte. Hier entstanden stimmungsvolle Stadtansichten, eindringliche Portraits der existentialistischen Boheme und erste Modeaufnahmen für die Modezeitung Vogue.

Nach Deutschland zurückgekehrt, machte sich Tobias schnell einen Namen. Angesehene Couturiers und Modemagazine wurden auf den unkonventionellen, sich um Trends nicht scherenden Fotografen aufmerksam. Gerade in den Modeaufnahmen konnte Tobias seiner Lust an fulminanten Inszenierungen und Glamour freien Lauf lassen. Zeitgleich mit den mondänen Auftragsarbeiten entstanden berührende Bilder aus dem zerstörten, später geteilten Berlin, wo Tobias bis 1969 lebte. Ohne Pathos und Sentimentalität fängt er die absurde Poesie des Trümmeralltags, aber auch den Lebenswillen der Nachkriegszeit ein. Seine Aufnahmen transportieren den Zeitgeist und entfalten zugleich eine zeitlose Präsenz. Darüber hinaus tritt Tobias immer wieder als homosexueller Künstler in Erscheinung. Seinen erotisch aufgeladenen Blick auf die Männer hat er nie verleugnet, sondern offen zur Schau gestellt. In der Zeit als Homosexualität noch bestraft wurde waren seine Bilder ein persönliches Bekenntnis und gleichzeitig ein politisches Statement. Mitte der sechziger Jahre stieg Tobias aus der glanzvollen Karriere aus. Es folgten exzessive Jahre, in denen die Fotografie nur eine untergeordnete Rolle spielte. Ab Mitte der siebziger Jahre arbeitete er für diverse Schwulenmagazine.

Bei der Anordnung der Fotos in der Ausstellung, hatte die Kuratoren bewusst auf eine Genreorientierte Ordnung verzichtet. Den roten Faden in allen Themenbereichen bildete stattdessen Herbert Tobias kontroverse Stimmungen: "In Träumereien, Momente des Glücks, Einsamkeit und Verlorenheit" als hoffnungsloser Melancholiker; "In Blicke, Posen und theatralischen Inszenierungen" meisterte er große Auftritte. Diese innere Zerrissenheit gilt heute als Herbert Tobias künstlerische Stärke, aber wahrscheinlich war sie es auch, die ihn psychisch zu Fall brachte. (» me)

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