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Der junge deutsche Film wächst aus vielen Wurzeln

Von Stefan Jalowy

Max-Ophüls-Preisträger in Berlin

» Jung, deutsch, multi-kulturell: Max-Ophüls-Gewinner 2009 demonstrieren zur Berlinale den Esprit kultureller Vielfalt

Sie ist blond, groß, hat ein umwerfendes Lächeln und steht mit strahlenden Augen auf der Bühne zwischen den Gewinnern des renommierten „Max-Ophüls-Preis 2009“. In der Kategorie „Dokumentarfilm“ hat ihre Geschichte über jungen kosovarischen Roma Haki - der in seine Heimat abgeschoben wurde, die doch nicht seine Heimat ist - nicht nur die Jury sondern auch ihre Mitbewerber um diesen begehrten deutschen Filmpreis beeindruckt. Silvana Santamaria, Regisseurin des Siegerbeitrags „Nirgendwo Kosovo“ ist eine von vielen jungen Drehbuchautoren, Kameraleuten, Regisseuren und Nachwuchs-Produzenten mit mehr als nur deutschen Wurzeln. Die 32jährige ist in der Schillerstadt Marbach am Neckar geboren und auch durch ihr Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg im nahen Ludwigsburg ist sie eng mit ihrer württembergischen Heimat verbunden. Aber als Tochter italienisch-deutscher Eltern hat sie von Kindesbeinen an mediterranes Temperament und schwäbi-sche Gründlichkeit in sich vereint. In der Region um die südwestdeutsche Industrie-Metropole Stuttgart seit einem halben Jahrhundert ganz normal.

Wenn Kehrwoche und Siesta, Maultaschen und Paella einander nicht aus-
schließen – warum sollte dann nicht auch deutsche Populär-Kultur durch neue Impulse und Temperamente, Sichtweisen aus anderen als den „typisch deutschen“ Perspektiven bereichert und befruchtet werden?

Während in der saarländischen Landesvertretung die gut 800 Gäste des „Max Ophüls“-Abends sich am Buffet bei Frikadellen und Lyonersalat stärken, lässt sich ein kleines Grüppchen Unentwegter rauchend vor dem Portal die eisige Berliner Abendluft um die Nase wehen. Eine aus Licht und Schatten scharf gezeichnete Silhouette im Stil von Fritz Langs Celluloid-Klassiker „Das Testa-ment des Dr. Mabuse“ steht an einen glatten Betonpfeiler gelehnt. Durch die im Pflaster eingelassenen Strahler direkt von unten beleuchtet bietet das expressionistisch pointierte Schurkengesicht ein zu reizvolles Motiv, um es nicht mit langer Belichtung und offener Blende zu dokumentieren. Es gehört Michael Ginsburg (26), Sohn russischer Eltern aus Moskau. Einem der noch nicht so sehr Bekannten aus der Garde junger Schauspieltalente. Regisseur Dominik Graf war von der Aura Ginsburgs so fasziniert, dass er ihn für seine achtteilige TV-Krimiserie „Im Angesicht des Verbrechens“ besetzte. Mittelpunkt der aufwändig in Berlin sowie in verschiedenen osteuropäischen Städten gedrehten Produktion ist ein Familiendrama im jüdisch-russischen Milieu, dessen Mitglieder in Grafs Kriminalepos in die organisierte Kriminalität der sogenannten „Russenmafia“ verstrickt sind. Für Ginsburg eine zu 100 Prozent passende Rolle, entstammt er doch eben diesem Milieu. Dem russisch-jüdischen mit deutschen Wurzeln natürlich – und nicht dem der Russenmafia. Für Regisseur Graf („Die Katze“) soll die deutsch-russische Clan-Saga verdeutlichen, „dass Deutschland ein Schmelztiegel der Kulturen“ ist.

Ginsburg zieht an seiner Zigarette, kirschrot glüht die Spitze auf und leicht fröstelnd pflichtet der junge Schauspieler bei: „Gerade hier in Berlin kann man es jeden Tag erleben, wie ungeheuer wichtig Integration – aber nicht nur als Einbahnstrasse betrieben – für die Entwicklung unserer Gesellschaft ist. Doch das Wichtigste ist, dass wir von Film und Fernsehen nicht nur die älteren Generationen ansprechen – sondern vor allem die Jungen. Doch dazu braucht es Geschichten, die auch auf der Strasse verstanden werden.“

Drinnen im Saal werden unterdessen neue Drehbücher besprochen, aus Ideen mögliche Storyboards gedrechselt und mögliche Allianzen zwischen Autoren, Regisseuren, Produzenten und Filmfonds sondiert. Filme für Fern-sehen oder das Kino zu produzieren hat heute vor allem auch mit Fundraising
zu tun. Finanziers oder Partner zu finden hängt mehr denn je von einer über-zeugenden Präsentation der richtigen Filmidee ab. Nur so lassen sich zwei oder drei möglichst internationale TV-Sender, regionale Medieninstitutionen oder Filmfonds überzeugen – und das Produktionsbudget von „low“ idealerweise auf „standard“ anhebt. Silvana Santamaria hat ihren mit dem Ophüls-Preis ausgezeichneten Dokumentarstreifen vor allem dank geschickter Präsentation und clever terminierter Förderungsanträge realisie-ren können. Eine Hauptrolle bei der Produktion ihrer Dokumentation spielten dabei die Zwillingsschwestern Aysel und Yüksel Yilmaz (29). Die in der schwäbischen Provinz in Backnang geborenen Deutsch-Türkinnen agierten für Silvana als Producerinnen. Die Regisseurin kannte die agilen und kreativen Zwillinge von der Filmakademie Baden-Württemberg, an der alle drei bis Ende letzten Jahres studierten. Nach dem Abitur sammelten die Zwillinge erste Erfahrungen bei regionalen Szene-Magazinen und Radiosen-dern. Den Sprung zu Film & Fernsehen wagten sie in Berlin - bei einem deutsch-türkischen Fernsehsender und dann bei MTV-Productions. Und mit ihrem Management- und Produktionskonzept für einen animierten „Playsta-tion“-Werbespot gewannen beide neben einem Preis ein Stipendium für die begehrten UCLA-Summer Sessions in Los Angeles, in Hollywood. Ob die ausgeschlafenen Producer-Zwillinge Yüksel ihre auf neue Publikums- wie Medientrends ausgerichteten Antennen künftig auf internationalem Parkett aktivieren liegt in erster Linie an den Spielräumen und Möglichkeiten, die sich jungen Filmkreativen mit migrationsgeprägter Herkunft in Deutschland bieten.

„Wir sehen bestimmte Entwicklungen in der Gesellschaft vielleicht direkter und ungefilterter als viele Deutsch-Deutsche. Ein Grund dafür mag sein, dass immer noch ziemlich viele Deutsche lieber unter sich bleiben und damit von neuen Einflüssen aus anderen Kulturen nicht sehr viel mitbekommen“, mut-maßt Michael Ginsburg, der immer noch im Fritz-Lang-Licht rauchend vor der Tür friert. Dennoch sieht er auch bei den Jüngeren unter den Neu-Deutschen den Trend, Integration und das Entstehen einer neuen gemeinsamen Kultur nicht mitzumachen. „Gerade viele junge Migranten finden es cool, ihre ethnische Identität zum Kult zu erheben. So bleiben sie zum Beispiel in ihren Clans isoliert von ihrer durch Deutsche oder Migranten anderer Nationen geprägten Umgebung. Genau die aber müssen wir erreichen. Ihnen müssen wir Stories erzählen, die für sie nachvollziehbar sind. Durch Filme in denen die sich wiedererkennen können wir den Jungen begreiflich machen, dass ein gemeinsames Entwickeln, Modernisieren und „Nachvornebringen“ cooler ist und ihnen selbst wie auch der Gesellschaft mehr nutzt.“ Die Zigarette ist aufgeraucht und Michael Ginsburg kehrt in die Wärme des Stehempfangs in der Berliner „Botschaft“ des Saarlands zurück.

Überhaupt das Saarland. Hier kennt man sich mit dem Mix verschiedener Kulturen traditionell aus. Stichwort: aus der Erb-Feindschaft zwischen deutschem Reich und der „Grande Nation“ wurde unter Adenauer und De Gaulle in den 50er-Jahren die deutsch-französische Freundschaft begründet. Und damit die Keimzelle für das, was 60 Jahre später als „Europäische Union“ 27 Nationen zwischen Schwarzem Meer und Polarkreis vereint. Wie man mit unterschiedlichen Kulturen umgeht und auch wie man sich in seiner neuen Heimat integriert, damit kennt sich auch der Hausherr der saarländischen Vertretung bestens aus. Jürgen Lennartz, der Bevollmächtigte des Saarlands beim Bund, stammt aus Düren, einem Voreifelstädtchen zwischen Köln und Aachen. Der einstige wissenschaftliche Referent von Bundesumweltminister Klaus Töpfer zog 1999 nach Saarbrücken. Gerade in der relativ übersichtlichen Landesregierung des kleinen Bundeslands gehört Integration zum kleinen Einmaleins des beruflichen wie privaten Ankommens in der neuen Heimat. Das scheint der studierte Jurist so gut hinbekommen haben, dass ihn die Saarländer als ihren Bevollmächtigten in die Hauptstadt entsandten. Und er lässt sogar mit perfektem Fingerspitzengefühl für die kulturellen Annehmlichkeiten seiner Region in der Mitte Europas beim Empfang für die Ophüls-Gewinner französischen Rotwein von der anderen Seite der Saar servieren.

„Das sind doch unsere Nachbarn, warum tun die sich das an und wieso unternehmen wir nichts, damit die Menschen in unserer Nachbarschaft in Frieden leben können?“ So erklärt Silvana Santamaria im Foyer der Landesvertretung ihre Motivation eine Dokumentation zum Thema Kosovo zu drehen. Die Jung-Regisseurin recherchierte vor Ort in Djakova, wo während der ethnischen Vertreibung der Kosovaren 1998/99 serbische Nationalisten und Milizen furchtbare Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübten. Doch ihre Film über Menschen auf der Flucht vor ethnischer oder politischer Verfolgung ins Exil oder Asyl fiel letztlich anders aus als die Filmerin eigent-lich geplant hatte. „Schuld“ daran war Haki, ein 28jähriger kosovarischer Flüchtling, der nach 17 Jahren in Deutschland in den Kosovo abgeschoben wird. Als Angehöriger einer Roma-Familie gehört er auch in seiner Heimat, die keine mehr ist und es im Grunde nie war, zu den Ausgestoßenen. In lupen-reinem Saarbrücker Dialekt schildert der junge Heimatlose sein Schicksal, während er auf einer Müllkippe nach Nahrung zum Überleben sucht. „Die einzigen Bezugspersonen, die Haki im Kosovo hatte, waren ausgerechnet deutsche KFOR-Soldaten “, erzählt die Preisträgerin. „Bei ihnen fühlte er sich sicher und sie vermittelten ihm ein Gefühl von Heimat, denn Heimat das ist Deutschland für ihn, nicht Kosovo.“

Der Geist von Max Ophüls, dem in Saarbrücken geborenen jüdischen Theater- und Film-Regisseur, ist an diesem Abend in der „Berlinale“-Hauptstadt allgegenwärtig. Er treibt Nana Ekvtimishvili, eine junge Drehbuch-Autorin aus Georgien, die Geschichten aus ihrer politisch wie gesellschaftlich zerrissenen Kaukasus-Heimat in die Welt tragen will. Mit Bildern und in einer Sprache, die auch ohne Worte überall verständlich ist. Das gelang Max Ophüls mit Filmen wie dem legendären „Reigen“ nach Arthur Schnitzler oder den „Liebenden von Montparnasse“. Die Vita des Max Ophüls, der Zeit seines Lebens ein Reisender, ein Exilant, ein Asylant in einer nach dem Krieg illusionsloser gewordenen Welt, ist von Austausch und gegenseitiger Inspira-tion der Kulturen geprägt. Und wer den mutigen Blick einer Silvana Santa-maria spürt, das engagierte Credo des in Moskau geborenen Michael Gins-burgs versteht und all die Leidenschaft ausstrahlenden Gesichter der Jungen und der Wilden Filmer an diesem Abend brennen sieht – der kann an diesem eisigen Februarabend beruhigt nach Hause gehen. Die Lichter des neuen deutschen Films werden an Strahlkraft noch zunehmen und auch die ver-gessenen Ecken und Winkel unserer kulturell immer vielfältigeren Gesell-schaft ausleuchten. Denn unsere Lichtspielkunst wächst stärker und ver-zweigter gegen den Strom der unbedarften Mainstream-Blockbuster – und
das geht dank der vielen unterschiedlichen kulturellen Wurzeln, die dem deutschen Film Kraft und Stand verleihen. Nicht nur zugunsten der Film-schaffenden – sondern vor allem im Sinne des Publikums.

http://» www.max-ophuels-preis.de/neo/

Fotostrecke von Stefan Jalowy

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