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Migrationsvertreter verkennen politischen Akt

Von Franziska Sylla

Berlin. 11. / 12. Juli 2007. Die Zivilvertreter der türkischen und arabischen Vereinigungen sind schwer enttäuscht über die neuen nationalen Migrationsgesetze, die, nach einem Jahr Arbeit, am Mittwoch im Kabinett verabschiedet wurden. Eingepackt ist die Novellierung der deutschen Migrations - und Integrationspolitik, inklusive der EU-Richtlinien der Europäischen Union, in den sogenannten Nationalen Integrationsplan.

Vor einem Jahr im Juni 2006 fand der erste » Integrationsgipfel in Berlin statt. Seit dieser "Showveranstaltung", wie Ahmet Ünalan vom Rat der Türkischen Staatsbürger, am vergangenen Dienstag in seiner Pressekonferenz wetterte, waren sie in den Anhörungen mit dabei. Kurz vorm Integrationsgipfel klinkten sie sich aus: "Wir nehmen nicht am Integrationsgipfel teil", sagte Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). Sie seien zwar bei den Diskussionen zu den Gesetzesentwürfen angehört worden und die Atmosphäre in den Arbeitsgruppen bewerten die Integrationsplangegner "von ihrer Seite aus als sehr positiv", aber ihre Vorschläge blieben gänzlich ohne Einfluss, wobei ihnen auch bewußt sei, der Integrationsgipfel ist "nicht der Ort der Gesetzgebung."

Am Mittwoch wurde konsequent im Kabinett besiegelt, was vom Bundestag bereits genehmigt ist und dem Bundesrat vorliegt, eine Gesetzesnovelle mit Verschärfungen in den Bleibe-, Zuzugs- und Aufenthaltsrechten von Migrationsfamilien, die teilweise oder gar keine EU- Zugehörigkeit besitzen oder keine deutsche Staatsangehörigkeit vorweisen können, sich in Deutschland aber zu Hause fühlen wollen.

Die Einschränkungen der Rechte von Bürgern mit Migrationshintergründen liegen damit klar auf dem Tisch, lerne die Landessprache.

deutsch nix schwe(h)r ?!


Im Ehegattennachzug soll der Nachweis von D e u t s c h k e n n t n i s s e n geknüpft sein, geregelt in § 30 des AufentG.


Damit wolle der deutsche Gesetzgeber Zwangsehen verhindern. Für dieses Ziel, behaupten die Migrationsvertreter, hätte das bereits bestehende Zuwanderungsgesetz, das Neuankömmlinge zur Teilnahme an Integrationskursen verpflichtet, ausgereicht. Die Deutschkenntnisse eines Familienmitglieds als Voraussetzung für einen Familiennachzug zu machen, sei verfassungswidrig. Ausserdem schreibe der Europäische Richtlinienkatalog keine zwingenden Bedingungen zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen vor einer Einreise vor, was der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt habe. Die Integrationskritiker würden es begrüßen, "falls die Bundesregierung freiwillige und kostenlose Sprachkurse in den Heimatländern anbieten würde", diese würden sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. (» Kommentar lesen: Der gefühlte türkische Kanzler)

Eine weitere Einschränkung bestehe künftig in § 27 AufentG: Die Heiratswilligen vor dem Familiennachzug zu prüfen, ob die Ehe zu Familiennachwuchszwecken geschlossen worden sei. Diese Überprüfung legitimiere bestehende Vorurteile, heißt es von Seiten der Verbände, ausserdem würde damit "Behörden die Möglichkeit gegeben in der Privatsphäre zu schnüffeln."

Ob sie die Bundesregierung verstehen, warum sie solche Gesetze verabschiedet habe, wollte eine Journalistin wissen. "Nein, ich verstehe die Bundesregierung da nicht", sagte Ünalan kopfschüttelnd. Die Verschärfungen stünden im krassen Gegensatz zu den Intentionen des von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Integrationsgipfels, heißt es in einem vierseitigen Kritikpapier, verfaßt von zehn Initiativen türkischer, deutsch-türkischer, islamischer, arabischer und einer polnischen Bürgerinitiative. Es gehe um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland - Migrantenverbände rufen die Bundesregierung zum Dialog auf, heißt die Überschrift der sonst Namenfreien Presseerklärung.

"Glauben Sie, dass aus Gründen des Rassismus das Zuzugsrecht beschnitten wurde?" Kenan Kolat und Ünalan sprechen von "Diskriminierungen bestimmter Bevölkerungsgruppen", die Mängel des Gesetzes, vor denen sie warnen, "haben einen psychologischen Effekt", es sei ein "emotionaler Bruch geschehen". Der Gesetzestext beschreibe einen "Ausgrenzungsanschein", das treibe "einen Keil in die emotionale Zugehörigkeit," begründet Kolat die Entscheidung dem Integrationsgipfel am Donnerstag fernzubleiben.

Die Erklärungsansätze der Migrationsvertreter begannen und endeten im "psychischen". Sie seien "nicht in der Ehre getroffen, in der inneren", weichen Kolat und Ünalan wie zwei Verbündete der Frage nach der verletzten Ehre aus. Sie blicken sich in die Augen, "wir betreiben keine Innenpolitik", scherzte Ünalan. Die Bundesrepublik sei ihre Heimat geworden. "Wir sind Teil dieses Landes", heißt es in der Presseerklärung, jede Entwicklung interessiert und beschäftigt "uns genauso wie alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wir tragen zum Wohlstand der Bundesrepublik bei."

Ein anwesender Journalist fragte Kolat, ob das Verhalten, dem Gipfeltreffen der Bundesregierung zur Nationalen Integrationspolitik mit einem Boykott zu quittieren "nicht kontraproduktiv ist, um genau ihre Anliegen einzubringen?" Es gibt in Deutschland das Sprichwort, man kann nur wiederkommen, wenn man geht, sagte ein anderer Pressevertreter, "wie wollen Sie jetzt wieder da hinein kommen, wo Sie jetzt draussen sind, im Diskussionsprozess der Integrationsfragen deutscher Migranten?"

"Sie sehen", antwortete Ünalan, "wir sehen über den 12. Juli hinaus." Er bliebe ja im Dialogprozess, "einige unserer Interessensvertreter werden am 2. Integrationsgipfel teilnehmen."

In der Pressemitteilung ohne Ansprechpartner steht: "Wir stehen weiterhin für einen gleichberechtigten Dialog und erwarten positive Signale von der Bundesregierung."

Positive Signale gab es von Deutschland genug


Positive Signale hat es aus dem Kanzleramt mehr als genug gegeben, Regierungschefin Angela Merkel (CDU) sagte am Donnerstag nach dem Gipfel deutlich: "Der Bundesregierung stellt man kein Ultimatum." Aber sie denke, wenn für das nächste Jahr zum Integrationsgipfel geladen wird, "dann werden die Geladenen auch kommen, auch wenn sie diesmal nicht gekommen sind." Die Sitzung verlief "ganz munter und konstruktiv", schilderte sie die Gespräche mit immerhin 12 Vertretern von Verbänden und Arbeitsgruppen. Staatsministerin Maria Böhmer sagte, man habe "den Auftrag, einen nationalen Integrationsplan zu erstellen geschafft."

Entsprechend dem Kabinettbeschluss der Bundesregierung vom 12. Juli 2006 habe man Arbeitsgruppen zu zehn Themenfeldern der Integrationspolitik eingerichtet und mit Vertretern der Migrantenverbände, der Kommunen, Länder, des Bundes und weiteren nicht staatlichen Akteuren, eine Strategiebroschüre produziert. Das 170 Seiten starke Heft mit Analysen und konkreten Maßnahmen ist in einfachen Worten geschrieben, facettenreich, weil aus verschiedenen Perspektiven, wirbt die Regierung. Die Arbeitsgruppen wurden vom Bund moderiert, jeder Teilnehmer habe Selbstverpflichtungen zu leisten gehabt, auch wenn nicht alle Organisationen, Institutionen und Verbände innerhalb der zwölf Monate ihre Beiträge haben abstimmen oder einbringen können, so sei hiermit "ein Meilenstein in der Integrationspolitik gesetzt", sagte die Kanzlerin.

Justizministerin Brigitte Zypries weiß: "In einem Jahr werden wir sehen, was wir von dem Plan umgesetzt haben" und in diesen "Umsetzungsprozess werden sich wohl wieder alle einbringen, auch diejenigen, die heute nicht anwesend waren", sagte Angela Merkel. Damit auch die Frauenqote, ganz nach Integrationsplan, nicht zu Kurz komme, bemerkte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer um sich blickend "wie man ja sieht." Nicht zu sehen waren allerdings die für die Pressekonferenzvor dem Gipfel angekündigten beiden Migrationsvertreter.

Der gefühlte türkische Kanzler von Deutschland

Franziska Sylla, freie Journalistin (fs), Berlin

(Foto: 2006)

Kommentar (fs)

Sechzig Jahre lang robbten sich die Politiker in Sachen Ausländerpolitik in Deutschland ans Ziel. Im Jahr 2007 ist es der Bundesrepublik gelungen, die Janusköpfige Problematik Integration und Migration mit Hilfe der Zeithistorie, EU-Richtlinien, zu beruhigen. Aus Hemmnissen werden Sprungbretter. [Zurück]

Eine dritte, eine schlichtende, mental und emotional begreifbar gemachte Voraussetzung für Migrationsbürgerinnen und Bürger wird vorstellbar. Für alle Beteiligten ein Lernprozess? "Auch wir haben dazu gelernt", sagte die Kanzlerin aufgeräumt und sie denke nicht, dass ganz Deutschland begeistert sein werde von den Gesetzen. Doch der Plan und seine Umsetzung, hergestellt von den Teilnehmern des Integrationsgipfels unter Obhut der Bundesregierung, bietet die passende Plattform für die Integrationspolitik im 21. Jahrhundert. Das ist geschickt.

Die verstärkte Nachweispflicht von D e u t s c h k e n n t n i s s e n bei integrationsbedürftigen Bürgern nicht-deutscher Herkunft, ist der kleinste gemeinsame Nenner, wenn Deutschland ein herzlicher Dreh- und Angelpunkt für die Welt sein will und gleichzeitig kommunizierbare, harmoniefähige Gesetze eben genau dafür benötigt. Seit heute ist Deutschland rechtstheoretisch den Globalisierungsschritten gewachsen, kann der Entgrenzung mit demokratischen Formen begegnen. Die Bundesregierung bat die deutschen und ausländischen Medien eindringlich um eine "möglichst vollständige Weitergabe von Informationen." Wenn die türkischen Medien nicht ausreichend berichteten, können die betreffenden Menschen nicht ausreichend informiert sein über die Rechte und Gesetze in Deutschland. Anerkennen, dass es sinnvolle, hilfreiche Regeln gibt, die offen oder im Hintergrund menschliche Verhaltensweisen fördern, aber auch fordern, gemäß der gesellschaftlichen Aufgaben; Zum Beispiel die Lebensaufgabe eines Schülers, der Allgemeinwissen und mehrere Sprachen lernen muss, gehören zum Integrationsprozess einfach dazu und das ist "nicht nur in Deutschland so", sagte Zypries, "sondern auf der ganzen Welt", ergänzte Böhmer.

Sechzig Jahre hat es gedauert, Integrationsgesetze zu verfassen, die Integration überhaupt möglich machen. Ein Coup ist es in meinen Augen, die Bedingungen für Einbürgerungswünsche auf mindestens 300 Wörter der Deutschen Sprache anzuheben. Diese Voraussetzung ist jetzt eine politisches Instrument, das von jedem Gesetzgeber d e m o k r a t i s c h angepaßt oder - adaptiert werden kann.

Zwangsehen werden erschwert, aber auch Heirat aus Geldgier oder zur Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung im Wunschstaat Deutschland. "Die Politik muss sich der Realität stellen", sagte die Kanzlerin irgendwie überzeugend allgemeingültig. Straffähige Zwangsehen seien laut Justizministerin Zypries "nur" 20 bekannt, aber wer hebt ungefragt die Schleier von Tabu-Traditionen oder Verdeckungen? Tugenden und Kriminelle Handlungen sind auch Angelegenheiten im gesellschaftlichen Migrationsdschungel. Lieber Leser, liebe Leserin, sind Sie noch nie gefragt worden, ob Sie einen "Freund von einem Freund aus Bosnien oder eine tolle Braut aus der Türkei, mal kennen lernen wollen?" Ganz beiläufig erfuhr ich dann, dass er kein Wort Deutsch spricht, weil der Litauer, Bosnier, Araber, Kroate oder Türke gegen Geld in Deutschland Fuß fassen wolle und erst seit einer Woche illegal in Deutschland herumgeistert. Nein habe ich gesagt, und das meinte ich nicht diskriminierend, ich würde natürlich auch einen Migrationsbürger oder anderen Nichtdeutschen heiraten, aber ich spreche zufällig noch keine Sprache aus den neuen oder den Nicht-EU - Staaten und ich möchte nicht, dass mein Privatleben für Zoobesuche eines zwanzigköpfigen Familienclans mit Dauerkarte missbraucht wird.

Damit wird der schönsten Sache der Welt, dem spontanen Heiraten und Kindermachen ein Riegel vorgeschoben, aber auch der Fantasievorstellung vom Aufenthaltssegen ein ethisches und kulturelles Sprungbrett hingelegt, die geistige Orientierung im Erlernen weiterer gesellschaftlicher Fähigkeiten in einer Wahlheimat zu finden. Rechte sollten auf Bildungs-, Erwerbs- und Lebenschancen verantwortungsbewußt wahrgenommen werden, so der Auftrag an Migrantionsbürger, die noch integrationsbedürftig sind. Die Vereine und Gipfelkritiker haben bis nächstes Jahr Zeit, weiterhin ihre Beiträge zu leisten.


Apropo:
Am Beispiel Dänemark könnten sich die Integrationskritiker orientiert haben, dort sollen die heiratswilligen Migranten und Familiennachzügler ein Jahr lang Zeit haben, kostenlos die dänische Sprache zu lernen. Damit es nicht an den fehlenden Sprachkenntnissen liegt: Dieser Service wird innerhalb Dänemarks angeboten, nicht im Land, wo der Einwanderungswunsch besteht - bei uns wäre das ja dann wohl die Bundesrepublik Deutschland - und nicht die Türkei. Zwölf Monate am Wunschort leben, auf Kosten des Staates die neue Sprache lernen und gleichzeitig eine eigene Familie gründen, ja sind wir denn nicht in einer paradiesischen Zeit auf diesem Globus?

LÄ 14. Juli07

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